Venetica ist kein besonders innovatives Action-Rollenspiel. Es beinhaltet Spielmechaniken, die bereits von vielen anderen Genrevertretern tausende Male angewendet wurden und die sich ebenso tausende Male bewährt haben. Eine gekonnte, gut funktionierende Mischung aus schnellen Kämpfen in Echtzeit und klassischen Rollenspielelementen. Wir haben wie fast immer die Möglichkeit unsere Protagonistin in verschiedenen Attributen aufzuleveln und die entsprechenden Erfahrungspunkte dafür erlangt man ebenfalls wie fast immer durch Quests und zahlreiche Kämpfe in allen mannigfaltigen Formen und Farben. Die altbewährten Prinzipien des klassischen Rollenspiels, dass man für mühsame Aufwendungen auch entsprechend belohnt wird, funktioniert in dem Spiel genauso gut wie bei in den vielen anderen erfolgreichen Konkurrenten. Deck 13 fügt dem noch reichhaltige Adventure-Elemente wie etwa Rätsel und Entscheidungsfreiheit hinzu und verleiht der Spielfigur einige magische Fähigkeiten, die einige reizvolle Spielsituationen hervorrufen. Venetica ist ein gameplaytechnisch fehlerfreies, aber – wie gesagt – auch kein besonders innovatives Action-Rollenspiel. Aber es ist ein besonders schönes. Wenn die Gondeln Trauer tragen Wir werden entführt in ein fiktives 16. Jahrhundert des Nordosten Italiens, in der in einem kleinem idyllischem Bergdorf unsere Protagonistin lebt: Eine junge, bildhübsche Frau namens Scarlett. Diese genießt ihr friedliches Leben zusammen mit ihrem Verlobten, doch das findet jäh ein Ende, als das Dorf urplötzlich von Assassinen angegriffen wird, die nicht nur das halbe Dorf in Brand setzen und sehr viele Bewohner niedermetzeln, sondern auch ihre Liebe töten. Fortan schwört Scarlett Rache und macht sich auf den Weg nach Venedig, weil dort allen Hinweisen nach die Verantwortlichen für die Greueltaten zu finden sind. Was Scarlett zu Beginn an körperlicher Kraft auf ihrer Reise fehlt, kann sie ersetzen durch die Wut und Trauer, die sie in ihrem Herzen trägt. Ihre Motivation wird aber durch eine sonderbare Begegnung noch weiter gesteigert: Als sie durch ein Missverständnis getötet wird, begegnet sie im Jenseits dem Tod in Person, der behauptet ihr Vater zu sein. Während Scarlett noch völlig verwirrt ist, wird sie vom Tod mit einer besonderen Fähigkeit ausgestattet: Sie kann nun zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten hin und her wandern. Dadurch hat sie sogar die Möglichkeit von den Toten wieder aufzuerstehen – eine Eigenschaft, die sich mehr als einmal als sehr dienlich erweisen wird. Der wesentliche Reiz des facettenreichen und faszinierenden Spiels liegt neben der primär von Emotionen angetriebenen Geschichte hauptsächlich in der beeindruckend konstruierten Spielewelt. Die Gefühle der ausgeprägt gezeichneten Figuren, allen voran Scarletts, scheinen eine besondere Inspiration für die Gestaltung gewesen zu sein. Motive wie Leidenschaft und Sehnsucht stellen eine Verbindung zur Romantik her, die sich vor allem in der malerisch gestalteten Landschaft Italiens zeigt. Bei der ausufernden Architektur hat man sich prinzipiell an dem echtem Venedig orientiert, wodurch die Einflüsse der Renaissance und des Barock ebenso bei den virtuellen Streifzügen zu spüren sind. Man begegnet neben der für Venedig typischen, eigenwilligen Gothik sowohl der venezianischen Sakralarchitektur, als auch einigen Profanbauten, die allerdings mit anderer Bezeichnung in das Spiel eingebaut worden sind. Der romantische Einfluss wird in der Verzerrung der Realität deutlich: Das Venedig im Spiel ist größer, höher und verspielter als das Original; fast so als wäre der kunsthistorische Gegenpol zu Florenz noch unbändiger gewesen. Der von manchen Journalisten gewählte saloppe Vergleich mit den Märchen 1001er Nacht ist im Groben recht treffend, da vor allem bei tiefblauer Nacht eine äußerst märchenhafte Beleuchtung verwendet wird. Diese Assoziation kommt auch durch einen Abstecher in die afrikanische Steppe, die in ihrer Fremdheit und trockenen Landschaft Ähnlichkeiten zu Persiens Wüsten aufweist. Unterstreichung durch Überzeichnung Der Detailreichtum des gesamten Art Designs ist dabei beeindruckend. Es wurde nicht nur so gut wie jeder Ort völlig individuell gestaltet, es lassen sich auch viele Einzelzeiten erkennen, die die Welt erst richtig lebendig machen. Das Dekor ist beispielsweise im Vergleich zu anderen Rollenspielen aufwendiger ausgefallen und auch die Vielzahl der Objekte ist in Kombination mit der Weitsicht teilweise atemberaubend. Die Farbwahl wirkt insgesamt expressionistischer, was vor allem durch den dynamischen Tag und Nacht-Wechsel bzw. bei Sonnenuntergang und den dabei entstehenden langen, kontrastprovozierenden Schatten deutlich wird. Deck 13 greift zudem auch auf viele atmosphärische Wettereffekte zurück – wie etwa Nebel – um die passende Stimmung zu erzeugen. Das ist u.a. auch deshalb bemerkenswert, da Venetica auf einen entfernt comicartigen Stil zurückgreift, der Charaktere wie Karikaturen überzeichnet und zudem nicht auf übersättigte Farben verzichtet. Erstaunlicherweise unterstützt dies die Kraft des gesamten Flairs, anstatt all dem irgendwie im Weg zu stehen. Die Figuren können ebenso viele Details vorweisen, was man vor allem an deren Kleidung sehen kann. So sind beispielsweise allein die Spitzen an Scarletts Alltagskleidung wunderschön ausgearbeitet. Sie kann im Laufe des Spiels auch Rüstungen und andere Gradrobe nutzen; visuelle Schwächen zeigt keine dieser Kleidungen. Leider können weder die NPCs, noch die Animationen mit der Opulenz dieser Optik richtig mithalten. Während letztere nicht besonders gut mit der Umgebung harmonieren, fehlt es den eher unwichtigen Figuren leider etwas an Mannigfaltigkeit und Charakter. Die mit vielen kleinen Wendungen recht interessant gehaltene Geschichte wird absolut erstklassig von namenhaften Synchronsprechern vertont, wie etwa Claudia Urbschat-Mingues (Angalina Jolie) oder Manja Doering (Natalie Portman). Bemerkenswert ist in diesem Zuge vor allem, dass die Dialoge durchweg gut geschrieben sind und oft sogar den üblichen Rollenspiel-Mumpitz vermeiden. Neben der guten Sprachregie ist auch der Soundtrack hervorzuheben, der von dynamedion geschrieben worden ist. Anstatt einen beliebigen Hollywood-Sound zu imitieren, hat man es geschafft dem Spiel mit klassischen Kompositionen einen eigenen akustischen Flair zu verleihen, der die besagten Motive ganz hervorragend unterstreicht. zwischen RPG und Plot-Korsett Auch wenn diese Rezension in erster Linie die Gestaltung in den Vordergrund rückt, sei klargestellt, dass Venetica in allen Bereichen ein sehr gutes und empfehlenswertes Action-Rollenspiel ist, auch wenn einige unschöne Bugs – die hoffentlich durch Patches korrigiert werden – das Gesamtbild trüben[1]. Kritik muss sich Venetica nur für den manchmal unvermeidlichen Konflikt zwischen Rollenspiel und Adventure gefallen lassen, der sich nicht gameplaytechnisch, dafür aber dramaturgisch Auswirkungen hat: Wenn man etwa gerade erfahren hat, dass eine bestimmte Person gerade jetzt in Lebensgefahr schwebt, man aber die Option hat sich in das nächstgelegene Bett zu legen, ohne dass es einen Effekt auf den Ausgang der Situation hat, kann man schon ins stutzen kommen. Die Rollenspiel- und dementsprechend auch Freiheitskomponente bringt solche Ungereimtheiten leider mit sich, doch glücklicherweise halten Sie sich in Grenzen. Das Storytelling ist und bleibt eine besondere Stärke. Für Leute, die völlig neue, ausgefallene Spielpinzipien suchen, ist Deck 13`s Exkursion in das RPG-Genre keinesfalls eine Empfehlung, aber wer Wert auf Emotion, Atmosphäre und überzeugende Charaktere legt, könnte richtiger nicht liegen. Das Spiel verdient besonderes Lob, weil es nicht wie die vielen anderen Rollenspiele mit einer beliebigen, generischen Fantasyumgebung aufwartet, die man schon tausendmal besucht hat. Stattdessen schmeichelt Venetica mit einer romantischen, dichten Welt, die man am liebsten tausendmal besuchen möchte. [1]Bei einem gerade mal 30 köpfigem Team, dass bewundernswerterweise aus eigener Kraft ein komplexes, umfangreiches Rollenspiel aus der Taufe gehoben hat, kann man das aber locker verschmerzen. Das ist ein Bruchteil an Personen, als beispielsweise bei Mass Effect an Bord waren.↩