„Twin Sector“ ist ein geistiger Bruder von Valve`s Portal[1], und er ist gar nicht mal unbegabt. Doch es stellen sich dem Spieler viele Hürden in den Weg, die verhindern könnten, dass dieser das Talent erkennt. Dem Spiel fehlt vieles, was sein Bruder mit Stolz vorweisen kann: Eine hohe Production Value, eine ausgezeichnete Steuerung, eine gute Präsentation und die gewisse Prise Humor. Das Setup von „Twin Sector“ ist schnell erklärt: Man schlüpft in die Rolle der akrobatischen Ashley, einer jungen Dame, die eine der wenigen Menschen ist, die dazu auserwählt wurden in einer düsteren, von einer konterminierten Erdoberfläche geplagten Zukunft in einen unterirdischen Bunker in den Tiefschlaf versetzt zu werden. Doch anstatt viele Jahre später mit allen anderen Menschen aufzuwachen, wird sie von der künstlichen Intelligenz, die die Anlage steuert, geweckt. Wichtige Lebenserhaltungssysteme sind im Begriff auszufallen und Ashley ist die einzige, die sportlich genug ist, um sich durch die Schächte zu winden und dem Problem auf den Grund zu gehen. Glücklicherweise dient die Geschichte nicht nur als reiner Aufhänger, sondern entwickelt sich im Verlauf des Spiels zu einem kleinen Anreiz für den Spieler bis zum Ende zu spielen. Push`n Pull Die Parallelen zu Portal werden in dem Moment deutlich, in der Ashley die telekinetischen Handschuhe anwendet. Sie hat mit damit die Möglichkeit Gegenstände an sich heranzuziehen und in der Luft zu halten oder von sich abzustoßen. Zudem sind sie für die Bewegung durch die Anlage überlebenswichtig: Beim freien Fall kann der Sturz im richtigen Moment ausgebremst werden, oder man zieht sich in richtigen Moment beim Sprung an eine Plattform mittels Handschuh an sie heran, um diese überhaupt erreichen zu können. Fortan löst der Spieler aus der Ego-Perspektive Rätsel, die oftmals mit den Regeln der Physik zu lösen sind. Schalter müssen zur Betätigung mit Gegenständen beschossen, Türen mit Gasflaschen gesprengt, Fenster mit schweren Kisten gebrochen, Laserbarrieren mit Tonnen blockiert und Feuer mit Wassercontainern gelöscht werden. Das Spiel hat eine steile, aber zielsichere Lernkurve, um den Spieler an die Regeln innerhalb der Spielwelt zu gewöhnen. Ist man zu Beginn noch damit beschäftigt eine Reihe von Basics anzueignen, müssen diese im Verlauf der insgesamt 17 Levels in unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten und immer komplexeren Situationen angewandt werden. Ein besonderer Reiz besteht besonders durch die ab dem zweiten Drittel auftauchenden Abschnitte, in denen die Gravitation eines Raumes verändert werden kann. In diesen Momenten beweist „Twin Sector“ gegenüber seines geistigen Bruders die meiste Eigenständigkeit und verlangt von dem Spieler auf geschickte Weise umzudenken und bereits altbekannte Methoden auf neue Weise anzuwenden. Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel ist dabei oft durchaus beachtlich. So nachvollziehbar die Lösungen letztendlich sind, so sehr ist es zunächst notwendig die Räumlichkeiten und die Verwendungsmöglichkeiten der Gegenstände genau zu untersuchen. Wirkt es in den ersten Levels zunächst noch so, als würde man beim Betreten eines Raumes die Lösung innerhalb diesem auf dem Silbertablett serviert bekommen, so wird man nach und nach dazu aufgefordert auch längst passierte Bereiche mit in die Überlegungen einzubeziehen. Das richtige Timing ist manchmal auch gefragt; beispielsweise, wenn eine gerade entzündete Gasflasche zu explodieren droht, man diese aber so schnell wie möglich zu einer porösen Tür transportieren muss. Bezüglich Hinweisen und Tipps bleib das Spiel unbarmherzig und vergibt diese zu keinem Zeitpunkt. Man wird also nur weiterkommen, wenn man auch wirklich selbst auf die Lösung gekommen ist. Unnötige Hürden Der anspruchsvolle Schwierigkeitsgrad der stets logischen Puzzles wird leider durch die umständliche Handhabung des Spiels unnötig erhöht. So bewegt sich Ashley – trotz in der in der Hintergrundgeschichte angepriesenen akrobatischen Fähigkeiten – selbst für ein eher gemütliches Spiel leider viel zu langsam. In der Euphorie der Knobelei ist unser Gedankengang meist schon längst um ein Vielfaches abgeschlossen, ehe unsere Protagonistin überhaupt eine lokale Zwischenstation des Rätsels erreicht. Besonders ärgerlich ist ihre Langsamkeit bei Auseinandersetzungen mit Feinden. In manchen Situationen wird Ashley von elektrisch aufgeladenen, Wasserminen-artigen Dronen angegriffen, die man mit als Wurfgeschoss missbrauchten Gegenständen neutralisieren kann. Der eigentlich gelungene dramaturgische Effekt dieser abstrakten Maschinen, die einen hartnäckig mit bedrohlichen Surren verfolgen, schlägt angesichts der trägen Reaktion Ashleys und der daraus resultierenden Dauerpenetration der Quickload-Taste leider in ein regelrechtes Ärgernis um. Auch wünscht man sich etwas flotter per Pedes zu sein, wenn man versehentlich in das Schussfeld der automatischen Geschütze läuft. Ebenso ärgerlich sind die zwar seltenen, aber durchaus vorhandenen Physikaussetzer bei der Fortbewegung der Protagonistin: Wenn wir uns mit dem Handschuh vom Boden abdrücken und dabei Springen (also eine Art Rocket-Jump machen), ist es schwer abzuschätzen, wie hoch Ashley nun springen wird. Im schlechtesten Fall katapultieren wir die Dame so hoch hinaus, dass wir vor lauter Überraschung den unweigerlichen Sturz in die Tiefe nicht mehr abbremsen können. Und erneut drücken wir Quickload. Am stärksten steht dem Spielfluss jedoch die Begrenzung der Energie von den telekinetischen Handschuhen im Weg: Diese können mit gedrückt gehaltener Maustaste aufgeladen und somit in ihrer Effektstärke variiert werden. Benutzt man zweimal hintereinander das Maximum, ist die Energie für wenige Sekunden vorerst erschöpft. Normalerweise steht man in diesem Augenblick etwas blöd in der Weltgeschichte rum und wartet, bis man seine Handschuhe wieder benutzen kann. Im schlimmsten Fall wird man gerade von einer Drone überrollt, weil man sich nicht wehren konnte. Die Intention der Entwickler war offenbar, die Spannung in den Kämpfen zu steigern und den Spieler zum behutsamen, überlegtem Vorgehen zu zwingen; aber sie haben mit all den sperrigen Komponenten etwas zu stark übertrieben, so dass leider der gegenteilige Effekt eintritt. Kisten, Fässer, Kisten, Fässer und Kisten und Fässer Wer von all dem bereits genervt ist, könnte in der Präsentation den letztendlichen Grund sehen den Titel wieder fallen zu lassen: Sind die steifen Renderfilmchen schon keine nette Begrüßung, so erwartet den Spieler leider ein höchst reduziertes, tristes Gebilde von einem unterirdischem Bunker, der eher die Ästhetik der Anlagen aus den Cube-Filmen beherbergt, als die eines denkbaren Konstrukts aus der Zukunft. Ob Maschinenräume, Lagerhallen, Versorgungsanlagen oder Aufenthaltsräume: Sehr vieles ist äußerst zweckmäßig und allein der Rätsel Willen gestaltet worden. Das hätte Sinn ergeben, wenn Ashley wie die Protagonistin aus Portal Teil eines wissenschaftlichen Experiments gewesen wäre, doch in diesem Fall kostet es dem Spiel sehr viel Atmosphäre. Naja, und man fragt sich, warum das Refugium der Menschheit in der Zukunft nur aus Kisten und Fässern besteht. Ironischerweise überzeugen designtechnisch meist die in andere Areale überleitenden, bloßen Schächte, Tunnel und Gänge, da sie am ehesten die Kälte eines unterirdischen Gewölbes wiedergeben. Licht- und Farbgestaltung, als auch das basslastige Sounddesign sorgen allerdings dafür, dass ein unwohles Gefühl beim durchforsten der Gänge entsteht, das durchaus seinen Reiz hat. Schade ist übrigens, dass die deutsche Sprachausgabe ebenfalls recht dürftig ist. Wer des Englischen mächtig ist, sollte vielleicht diese Fassung in den Optionen auswählen – auch wenn sie ebenso nicht gerade preisverdächtig ist. So negativ sich diese Rezension liest, so sehr muss man betonen, dass „Twin Sector“ ganz innen im Kern ganz hervorragend funktioniert und trotz seiner offensichtlichen Fehler eine deutliche Empfehlung für alle Knobel-Fans ist. Nicht nur, dass dem Produkt außer Portal jegliche direkte Konkurrenz fehlt, es bietet dem Spieler trotz seiner ärgerlichen Hürden darüber hinaus etwas im Minutentakt, wovon so manch andere Knobelspiele aufgrund ihrer an den Casual-Markt angepassten Einfachheit nur träumen: Das unschlagbare Erfolgsgefühl nun doch ein kniffeliges Rätsel trotz anfänglicher Ratlosigkeit gelöst zu haben. [1]Portal wurde am 18. Oktober 2007 zusammen mit Half-Life 2: Episode Two und Team Fortress 2 in der Orange Box sowie als Einzeltitel am 10. Oktober 2007 über Steam veröffentlicht.↩