Einer der vielen Gründe weshalb ich Videospiele so sehr mag, ist das in ihnen völlig verrückte Ideen und Szenerien erprobt werden können und diese dabei manchmal sogar innerhalb der selbst gestreckten Grenzen überraschend plausibel erscheinen können. Unter dem kommerziellen Druck stehend scheinen viele Entwickler dieses Potential nicht wahrnehmen zu wollen oder zu können, weswegen wirklich exzentrische Spielkonzepte leider etwas rar geworden sind. Dabei ist es gar nicht allzulange her, dass ein ehemals sehr erfolgreicher Hersteller sich beinahe kopfüber von einem absurden Spielkonzept zum nächsten gehangelt hat – und dabei sogar oft erfolgreich war: Sega hatte vor vielen Jahren mit Titeln wie „Crazy Taxi“ oder „Jet Set Radio“ gezeigt, dass außergewöhnliche Ideen ein Publikum finden können.[1]Ein paar dieser Titel, wie beispielsweise „Rez“, werden noch heute zu Recht verehrt. Als ich zum ersten Mal von Sony`s „Kung Fu Rider“ für Playstation Move gehört hatte, war ich erfreut und gespannt zugleich: Dem Spiel liegt eine skurrile Idee zugrunde, die im Herzen den Spirit von Segas älteren Titeln zu teilen schien. Allerdings ist es leider weitestgehend nur bei dem Spirit geblieben.

ungewöhnliche Fortbewegungsmittel

Ihr übernehmt wahlweise die Rolle von Tobin, einem Privatdetektiv aus Tokio, der Ärger magisch anzieht, oder seiner Assistentin Karin, die ebenso besonderes Talent dafür hat sich in Schwierigkeiten zu bringen. Aus nicht näher beleuchteten Gründen ist die Yakuza auf der Suche nach den beiden und so müssen sie versuchen so schnell wie möglich die Stadt zu verlassen. Das Problem ist nur: Das mobile Büro, mit dem sich beide absetzen könnten, parkt einige hundert Meter weiter unten auf der Straße. Viel zu weit, denn per Pedes laufen sie Gefahr sich von den japanischen Mafiosi erwischen zu lassen. Ein Fortbewegungsmittel muss also her; wie praktisch also, dass dort jemand auf der Straße einen Bürostuhl stehen gelassen hat. Unsere Protagonisten stürzen sich folglich auf den rollenden Sitz und brettern damit den Abhang hinunter – und nehmen auf der Fahrt versehentlich alles mit, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Als Spiel umgesetzt ist diese herrlich bekloppte Idee als eine Variation von bekannten Downhill-Skateboardspielen. Man kann Grinden, auf verschiedene Arten Hindernissen ausweichen, Springen und nebenher noch ein paar Kung Fu-Tritte vom Zaun brechen, um heranstürmende Yakuza abzuschmettern. Das Leveldesign lässt eine Vielzahl von Pfaden zu, so dass es eine ganze Menge zu entdecken gibt und sich Streckenzeiten durch immer kürzere Wege verbessern lassen. Audiovisuell ist das Spiel erfreulich professionell umgesetzt: Die Areale sind äußerst farbenfroh, lebendig und mit Liebe zum Detail gestaltet. So gibt es umheimlich viel Zeug, der am Straßenrand steht und von der Spielfigur physikalisch korrekt angestoßen und mitgerissen werden kann. Es ist eine Gaudi mit anzusehen, wie beispielsweise der erstklassig animierte Tobin in eine Reihe von Kisten mit Wassermelonen stößt, die daraufhin mit ihm den Hang hinunterrollen und dabei Passanten von den Füßen reißen. Dabei verliert unsere Spielfigur fast das Gleichgewicht und wedelt aufgeregt mit den Armen. Die sehr gelungene deutsche Synchronisation und die leicht an Agentenfilme angelehnte, jazzige Musik setzt das schrullige I-Tüpfelchen auf diesen Slapstick, der mich oft zum Lachen gebracht hat. Der Humor von „Kung Fu Rider“ wird sich nicht jedem erschließen, wer jedoch wie ich ein Faible für Japano-Gaga-Blödsinn in Spielen hat, wird sich vermutlich schnell damit anfreunden.

ungewöhnliche Steuerung

Leider haben die Entwickler dieses witzige Konzept nicht konsequent ausgeschöpft. Schlimmer: Sie haben es sogar unnötig verkompliziert. Schon in den ersten Spielsekunden wird deutlich, dass ein Downhill-Skater als solches nicht unbedingt prädestiniert für das Steuerungskonzept von Playstation Move ist. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich meine Figuren penibel durch die teils engen Durchgänge zwischen den Hindernissen manövrieren konnte, weil ich Kommandos wie Springen oder Anlauf nehmen ständig miteinander verwechselt habe. Die Bewegungen die man dazu ausführen muss, unterscheiden sich zwar grundlegend, aber wer den Move Controller versehentlich zu hoch oder zu tief hält, führt nicht das Gewünschte aus. Wesentlich mehr wiegt, dass jeder einzelne Knopf belegt ist und nur in Kombination mit einer Controller-Bewegung seine Funktion erfüllt. Die Steuerung ist dadurch hoffnungslos überladen. Das Spiel bombardiert einen in den ersten Minuten mit schlecht gelayouteten Tutorial-Texttafeln, die zunächst mehr verwirren als unterstützen. Letztendlich ist es nach etwas Übung durchaus möglich die volle Kontrolle über die Spielfiguren zu erlangen, doch bis man den Steuerungs-Overkill verinnerlicht hat, ist das Spiel schon fast wieder vorbei. Nach etwa einer, vielleicht zwei Stunden hat man plötzlich alle Strecken und Aufgaben abgeschlossen und kann nur noch Anreiz in der Suche nach Geheimnissen finden. Oder eben in der Verbesserung der Strecken-Performance, die vom Spiel pro Abschnitt mit einer Note bewertet wird. Nachdem ich den Dreh raus hatte, war ich erst recht motiviert viele, viele Abhänge mit Bürostühlen oder anderen freischaltbaren Untersätzen zu dominieren, etwa einen Einkaufs- oder Gepäckwagen. Doch der lächerliche Umfang des Spiels, der drei recht ähnlich wirkende Stadtareale in verschiedenen Streckenvariationen umfasst, schiebt dem dummerweise einen Riegel vor.

Am Ende ist mir „Kung Fu Rider“ wegen seiner Idee sehr sympathisch, doch es enttäuscht mich gleichzeitig wegen seiner inkonsequenten, unausgewogenen Ausführung. Im Kern bleibt das Spiel wenigstens ein Bruder im Geiste von anderen verrückten Spielkonzepten, die vor allem an die Dreamcast-Zeit erinnern. So hoffe ich, dass das Bürostuhl-Spektakel in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft mit einem zweiten Anlauf oder zumindest etwas Download-Content noch eine Chance auf Besserung bekommt.

  1. [1]Heute ist SEGA nicht mehr ganz so experimentierfreudig, hat aber immer noch einen Hang zu ungewöhnlichen Titeln. Beispielsweise den Spielen von Platinum Games oder „Resonance of Fate“.