Ich möchte Euch eine Geschichte erzählen. Die Geschichte des japanischen Unteroffiziers Yokoi Shōichi. 27 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kam er von seinem gottverlassenen Außenposten in die Heimat zurück und sah zum ersten Mal das moderne Japan. Die Menschenmassen, die Hochhäuser, die Jungen mit ihren langen Haaren und die Mädchen in ihren kurzen Röcken. Der Legende nach waren seine ersten Worte: „Ihr seid keine echten Japaner, wo sind die echten Japaner?“. Ähnlich verkatert reagierten die Fans, die in FF-X die Liebe ihres Lebens gefunden hatten und Anfang 2004 voller Vorfreude das erste direkte Sequel in der Seriengeschichte von Final Fantasy in ihre Playstation 2 legten. Und das lag diesmal nicht an der gewohnt mangelhaften PAL-Anpassung – wir kannten ja nichts anderes. Beschwörung an der Abendkasse Zwei Jahre nach dem Kampf gegen Sin ist aus Yuna der Mega-Popstar des neuen Spira geworden, um dessen Fürsprache sich die Machtgruppierungen reißen. Popstar ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn X-2 begrüßt uns mit einem ausverkauften J-Pop-Konzert in der Blitzball-Arena der Metropole Luca. Zusammen mit Rikku aus dem Vorgänger und dem neuen Charakter Paine ist die Meisterbeschwörerin unter die Sphäro-Hunter gegangen und ist jetzt Teil des Möwenpacks, das auf seinem Luftschiff auf Spira herumreist und Sphäroiden birgt, um sie für ordentlich Gil zu verscherbeln. Diese Sphäroiden beinhalten Bildaufzeichnungen, manche relativ neu, manche mehr als tausend Jahre alt. In einer dieser Aufzeichnungen glaubt Yuna ihre verschollene Liebe Tidus wiedererkannt zu haben, der nach den Geschehnissen von des ersten Teils verschollen ist. Da sich über Geschmack nicht streiten lässt, begleiten wir sie auf ihrer neuen Suche, in deren Verlauf wir dem Ursprung des Sphäroiden auf den Grund gehen und einen alten Fluch bannen, der das frisch gerettete Spira schon wieder an den Rand der Zerstörung bringt. Durchblick im Chaos Das neue Spira ist laut, bunt und hektisch. Passend dazu wird der starre Rundenkampf wieder aufgebrochen, unsere Kämpfe fechten wir in dem aus älteren Serienteilen bekannten Active Time Battle (ATB) System aus. Active deswegen, weil der Kampf für Eingaben nicht mehr pausiert wird. Die Runden laufen gnadenlos, auch wenn der Spieler lieber noch eine Minute überlegen würde. Das schafft eine leicht chaotische Grundstimmung, in der strategische Planung oft den Kürzeren zieht. Trotzdem lohnt sich der Versuch, eine der mächtigen Komboangriffe auf das Schlachtfeld zu bringen. Learning by Doing Da Sphäroiden inzwischen als Videokassetten herhalten müssen, landen sie in X-2 nicht mehr auf irgendwelchen Sphärobrettern. An ihre Stelle treten als zentrales Element der Charakterentwicklung in X-2 die Kostümsphären, die im Spielverlauf geborgen werden. Kostüme sind eine Metapher für Berufe oder Rollen, wie man sie aus anderen RPGs kennt. Fähigkeiten werden erlernt und gesteigert, indem die Charaktere die Eigenschaften der einzelnen Kostüme im Kampf zum Einsatz bringen. Somit sind Yuna, Rikku und Pain nicht an eine bestimmte Rolle gebunden – mitten im Kampf können sie sich wie in einem Magical Girl-Anime „umziehen“ und mit der nächsten Runde auf ein anderes Set an Fähigkeiten zugreifen. Neben Standardrollen wie Kämpfer, Magier, Dieb gibt es abgefahrene Kostüme wie Dompteur, Glücksspieler und Masskottchen. Dabei ist kaum zu übersehen, dass die tief ausgeschnittene und durchlöcherte Kleidungsvielfalt nicht nur spielerische Vielfalt bieten soll. Vernünftig anziehen konnten sich die Bewohner von Spira noch nie – Tidus verstand nicht von ungefähr unter einer Dreiviertelhose ein Beinkleid mit einem langen und einem kurzen Hosenbein – für X-2 haben die Designer so tief in die Fanservice-Kiste gegriffen, dass wohl für jeden populären Fetisch etwas dabei sein müsste. Passend dazu wird das neue Spira nicht vom Ewigen Frieden beherrscht sondern von Girl Power. Das Möwenpack ist unübersehbar inspiriert von Trio Cameron Diaz, Drew Barrymore und Lucy Liu in der Kinovariante von „Drei Engel für Charlie“. Schlagfertigkeit, Kampfkraft, mädchenhafte Naivität und Hypersexualisierung. Der Kulturschock zum Vorgänger hätte kaum nicht größer sein können. Gepflegt aufbereitet Auch die HD-Anpassung von X-2 folgt der Strategie, die Hauptcharaktere neu zu modellieren und das unwichtige Fußvolk als „Quetschgesichter“ im Original zu belassen. Der technische Fortschritt zum ersten Teil fällt mit einem Jahrzehnt Abstand kaum mehr auf. Die veralteten Animationen stechen sogar noch eher ins Auge als noch in FF-X, wo man häufiger würdevoll vor sich her wandelte, statt in ausladenden Gesten mit allen Körperteilen herumzufuchteln. Trotzdem ist das Remastering eine klare Verbesserung, die vor allem das kuriose, bizarre art Design stärker zur Geltung bringt. Das Luftschiff Celsius etwa, dass anmutet wie eine gigantische, fliegende Harley Davidson, muss man mal in Aktion gesehen haben. Superblöde, Supergeil Paradoxerweise machen Final Fantasy X-2 genau jene Elemente zu einer runden Sache, die dem Titel energischen Fans des Vorgängers nach eigentlich das Genick brechen sollten. Wer denkt noch über Storyklischees nach, wenn Gegenspieler in ihrer Kompetenz Team Rocket aus Pokémon Konkurrenz machen, die Protagonistinnen in einer heißen Quelle die Größe ihrer Brüste diskutieren oder sich durch 3D-Shooter-Minigames ballern? Hier geht alles! Unter dem ganzen Zuckerguss im Dekolleté gibt es immerhin eine traurige Liebesgeschichte zu entdecken, die auch heute noch ein Tränchen aus dem Knopfloch zu zaubern weiß. Final Fantasy X-2 - HDMehr Guilty Pleasure als würdevolles Urgestein ist X-2 das zugänglichere der beiden Final Fantasies im HD-Doppelpack. Und so schlecht war Matrix Reloaded jetzt auch nicht.8Gesamtwertung