Man stelle sich einen Sherlock Holmes-Roman als eBook vor. Der vielleicht nicht ganz so umgängliche Ermittler ist gerade einem neuartigen Schurken auf die Schliche gekommen und hat ihn auf frischer Tat ertappt. Gerade wollte dieser mit seiner geheimnisvollen und wunderschönen Partnerin wertvolle Steine aus dem Kunstmuseum stehlen, als Holmes mit Watson die Szenerie betritt. Die Diebesparty ergreift sofort die Flucht und teilt sich auf. „Übernehmen sie die Frau, Watson!“ ruft Holmes seinem Gefährten noch zu, bevor er dem Schurken hinterher stürmend in einem Gang des Museums verschwindet. Watson macht einen Satz in die andere Richtung … und das Kapitel endet.
„Bitte schalten Sie „The Teasing“ für 2,99 Euro frei.“ heisst es auf der kommenden Seite. Ein Bild zeigt die Geheimnissvolle und Watson. Sie versucht ihn offenbar mit ihren Reizen abzulenken, während sie im Rücken ein Messer bereit hält. Blättert man zum nächsten Kapitel, geht es direkt mit Holmes weiter. Gewohnt eher mit Intellekt als mit Muskelkraft bringt er den Schurken zur Strecke. Watson erscheint kurze Zeit später – ohne die Frau, dafür aber mit roten Lippenstift auf der Wange.
„Wie sind sie zu dem Kuss gekommen, Watson?“ fragt Holmes sichtlich neugierig. Watson entgegnet nur mit einem Grinsen. In unserer Basisversion des eBooks werden wir es nie erfahren.
Ähnlich wie in diesem hoffentlich nie eintretendem, fiktiven Beispiel ergeht es Gebrauchtkäufern von „Batman: Arkham City„: Dem Spiel liegt ein Downloadcode bei, der nur einmal eingelöst werden kann. Er beinhaltet die Perspektive von Catwoman auf die Sicht der Dinge. Zwar lässt sich ohne den Zusatzinhalt das Spiel trotzdem durchspielen, ja, die Geschichte ergibt danach auch nach wie vor Sinn, doch sämtliche spielerische Einschübe, die Catwoman betreffen, werden einfach übersprungen. Wer als Gebrauchtkäufer auch diese Teile sehen möchte, muss sich über PSN und XBLA den DLC kaufen und wird mit 9,99 Euro zur Kasse gebeten.
Man mag über diese Taktik, die die gern angeführten Verluste über Gebrauchtkäufe und dem Verleih kompensieren soll, streiten können. Wesentlicher wiegt da aber der Fakt, dass die Entwickler bzw. der Publisher schon vor dem Release des Spiels damit begonnen haben Bestandteile zu separieren. So sind weitere DLCs angekündigt, wo ebenfalls Nebenhandlungen und Nebenfiguren spielbar sein werden, die die Hauptgeschichte um kleinere Facetten ergänzen. Mit dem einmaligen Kauf von dem Spiel ist also die düstere Welt des zerrissenen schwarzen Ritters noch nicht komplett. Wir halten quasi ein Buch in der Hand, aus dem einige Kapitel herausgerissen worden sind.
„Wie sind sie zu dem Kuss gekommen, Watson?“


Man stelle sich vor, wir könnten nur zwei Drittel des Mona Lisa-Gemäldes betrachten. Um in den Genuss des Gesamtwerkes zu kommen, müssen wir zusätzlich blechen. Das klingt zunächst absurd, aber im übertragenen Sinne ist es das, was vor allem mit DLCs derzeit passiert. Aus ganzen komplexen Handlungsverläufen werden alle Teile herausgenommen, die das Kartenhaus nicht gleich zum Einsturz bringen. Werden uns kleine Teile der Mona Lisa vorenthalten, erlangen wir zwar einen Eindruck von dem Bild und der Person, doch wir kommen nie in den Genuss der Gesamtwirkung. Kunst würde beschnitten werden; das Schaffen des Künstlers verfremdet. Catwoman ist ein fester Bestandteil der düsteren Welt von Batman. Sie zu streichen hinterlässt Lücken, die kein Comicfan ertragen kann.
Wie guter Wein
Am brennendsten ist jedoch die Frage, wie lange man noch die Möglichkeit hat die DLCs zu beziehen. Kunst, egal ob die Mona Lisa oder „nur“ ein ausgezeichnetes Videospiel, braucht Zeit zum Reifen. Sicher, in Kreisen von Videospielern hat sich „Batman: Arkham City“ innerhalb kürzester Zeit etabliert, doch erst die Zeit wird zeigen, ob das Spiel zum Klassiker und auch medienübergreifend als gelungene Interpretation des Batman-Themas angesehen wird. Das Spiel wird Neuerscheinungen überdauern müssen. Neue Batman-Filme, neue Batman-Spiele und natürlich auch neue Batman-Comics. Das Spiel wird ebenso gegen den technischen Fortschritt bestehen müssen. Wenn die nächsten Uncharted-Folgen noch brachialer, die nächsten Battlefields noch fotorealistischer, die nächsten GTAs noch interaktiver geworden sind – dazu noch auf neuen Konsolengenerationen -, wird „Batman: Arkam City“ dann immer noch unvergessen bleiben? Wird es für sich stehen können, wie es beispielsweise „ICO“ oder „Monkey Island“ auch noch viele Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung tun können? Wie gesagt: Die Zeit wird es zeigen.
Es wird nur schwerer zu beurteilen sein, wenn die Server, von denen die DLCs heruntergeladen werden, in einigen Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen. Man wird dann auf eine Gesamtedition gehofft haben müssen, die selbstverständlich nur dann veröffentlicht werden würde, wenn das Spiel entsprechend erfolgreich gewesen war. Im Falle von Batman gibt es wahrscheinlich wenig Grund zur Sorge: Das Spiel war bereits so erfolgreich, dass eine GOTY-Edition mit allen geplanten DLCs narrensicher scheint. Den Erfolg hat Alan Wake aber beispielsweise nicht feiern können: In ein paar Jahren werden wir keine Möglichkeit mehr haben auf die beiden Zusatzepisoden zugreifen zu können.
Dabei ist es doch etwa bei Büchern so schön, dass sie auch über Jahrhunderte hinweg das gleiche Werk und somit die gleiche potentielle Erfahrung wie am Erscheinungstag bieten. Man stelle sich vor Doyle hätte sich ausschließlich auf Holmes konzentriert und Nebenhandlungen mit Watson davon getrennt und nur an besonders zahlungswillige Leser verkauft. Wir wüssten dann heute vielleicht gar nicht so genau, wer der treue Gefährte Watson eigentlich ist.
Leider schrecken diese hauptsächlich finanziell denkenden Publisher nichtmals vor dem Zerstückeln eines Kunstwerks zurück. Das kennen wir ja schon lange von den Musik- und Filmverlägen, wie du ja auch schreibst.
Das kann einem richtig so einen Videospielabend verhageln, wenn zum Beispiel zwei ganze Erinnerungssequenzen aus Assassin’s Creed entfernt werden (Wieso hat Ezio plötzlich nen Bart? O_o), die ursprünglich zur Story gehörten und zu DLC-Verkaufszwecken einfach entfernt worden sind. WHAT THE HELL?
Sehr schöner Artikel, der wohl den meisten Gamern aus der Seele sprechen dürfte. Das sind halt die dunklen Seiten der Digital Download Welt.
Jemanden wie mich, der kompetitiven Multiplayer eher selten anrührt, hat das Thema Online Pass u.ä. eher selten tangiert. Die Tatsache, dass die Publisher nun aber auf den Trichter gekommen sind auch die Story Modes zu beschneiden ist ein wirklich bedauernswerter Schritt, dessen Erfolg ich gerne wüsste. Bei vielen Gebrauchtexemplaren (egal ob bei Batman oder anderen Games) sind die Codes noch dabei. Der Kunde verzichtet zähneknirschend auf Storyelemente und der Publisher hat weiterhin sein altes Problem. Ein Verlust für beide Seiten. Wer weiß, vielleicht verzichtet jemand sogar auf den Multiplayer, den er ohne Online Pass ausprobiert hätte und am Ende wäre Geld für Map Packs in die Kassen des Publishers gefloßen.
Richtig perfide ist ja auch, dass im Falle von Batman Arkham City offenbar ein Deal zwischen Publisher Warner und Gamestop besteht. Diese bekommen (zumindest in den USA) offenbar unbenutzte Codes um sie den Gebrauchtexemplaren beilegen zu können. Hier geht es also wieder einmal darum nur den privaten Weiterverkauf zu unterbinden.
Word!
Was ich abstrus finde am DLC ist die Bedeutungs-Hierarchie die damit in Spiele Einzug hält.
Will heißen: noch ist es ja zum Glück nicht so, dass DLC notwendig ist dafür, um „den Kern“ eines Spiels (und auch die Geschichten an sich) zu verstehen. Ohne Catwoman funktioniert Arkham City immer noch (nehme ich an, noch nicht gespielt selbst) und man braucht nicht wissen, warum Ezio jetzt einen Bart hat (warum auch nicht?), um weiterzuspielen.
Dann wiederrum heißt das ja: Catwomans Geschichte ist belanglos oder spielt nur eine geringe Rolle, der AC-DLC, in dem Ezio die Stadt verteidigt ist auch eben nur: eine Nebenepisode ohne große Konsequenz. Aber…das ist eine völlig furchtbare Art Geschichten zu erzählen.
Man will ja die DLC-losen Nutzer nicht völlig vergraulen, daher muss an jeder Ecke betont werden, dass der DLC fürs eigentlich Spiel gar nicht so entscheidend ist.
Gutes Beispiel daher am Anfang mit Sherlock.
Mich persönlich machen die ganzen Vorbestell-Boni etc. einfach nur müde und grantig und noch lustloser Geld für ein Spiel auszugeben. Beispiel Human Revolution: hätte ich mir wirklich wegen der völlig bedeutungslosen Tracer Tong Mission das Spiel vorbestellt oder nicht gebraucht gekauft oder was auch immer, wäre ich sehr vorsichtig, bei Square Enix wieder eines kleinen DLCs wegen vorzubestellen.
Besten Dank für deinen Artikel Micha, er war mehr als lesenswert. Und ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch ein paar meiner Gedanken einzubringen.
Ich beäuge die Masche mit der zusätzlichen DLC-Abzocke schon seit längerer Zeit. Und doch sehe ich mich immer wieder beim Erscheinen eines Spiels in diesem „will-haben“-Reflex. Und ärgere mich zum Teil schon selbst darüber. Ich kritisiere die Publishingpolitik, aber bin zum Teil immer noch zu unbequem, mein Konsumverhalten in dieser Sicht in weiteren Teilen anzupassen. Gut, für AC und einige wenige Serien bin ich mehr „Komplettist“ als Sammler, da stört es mich auch nicht, wenn das Spiel als Classics-Ausgabe mit verschandeltem Cover rumliegt, solange nur der Zusatzinhalt komplett und nach Möglichkeit auf Disc vorhanden ist. Wenn ich dann aber eine GOTY-Ausgabe wie bei Borderlands in die Hand nehme und erstmal Codes für den Zusatzinhalt eintippen darf, oder für DLC bezahle, der schon auf der Disc dabei ist und gegen Extrageld freigeschaltet wird, dann ist da was falsch gelaufen. Es gibt immer weniger Spiele, die es wert sind, am Day One gekauft zu werden. Es sei denn, es gibt abseits von DLCs nennenswerte Goodies.
Wenn ich aber schon eine exorbitante Summe für eine Sammlerausgabe hinlege, kann ich erwarten, dass der Zusatzinhalt nicht auf einem Zettel als Code, sondern auf einem Datenträger und damit nahezu für die Ewigkeit (oder zumindest eine sehr lange Zeit) erhalten bleibt. Server werden irgendwann abgeschaltet, der Content steht irgendwann nicht mehr zur Verfügung und das Gerät, auf das man das Zeug gespeichert hat, gibt irgendwann den Geist auf. Sicherlich wird es irgendwann mit den meisten Investitionsgütern so laufen (und als das sehe ich Spiele scheinbar noch immer, als Investitionsgut anstatt als Konsumgut), dass das Geld futsch und die Ware im Allerwertesten ist. Aber das sind Probleme, die nicht nur DLC, sondern digitale Distribution als Ganzes betrifft, die noch und nöcher mit Kopierschutzmechanismen ausgestattet ist, das man als Kunde legal nicht mal mehr die Möglichkeit erhält, seine erworbene Ware vor dem Totalverlust in 8-12 Jahren zu schützen.
Sicherlich, der Hersteller/Publisher/Händler ist fein raus, da man dem Käufer nur ein Nutzungsrecht einräumt, das jederzeit und überall geändert werden kann. Vielleicht sehe ich dem „Trend“ zur Cloud (der keiner ist, sondern vermutlich nur eine Marketingstrategie) auch deswegen so kritisch entgegen. Vielleicht. Vielleicht gehöre ich auch zu einer aussterbenden Art, die ihre gekaufte Ware nach Vorzug in der Hand hält, anstatt sie in der Differenz des freien im Vergleich zum belegten Speicherplatz auf der Festplatte zu sehen.
Versteht mich nicht falsch, ich habe das eine oder andere Spiel über die Dampf-Plattform gekauft. Entsprechende Titel über Xbox LIVE Arcade und PSN sind auch schon auf der Platte. Allerdings in einem relativ überschaubaren Maß. Meine Angst ist nur folgende: ich würde in ca. 10 Jahren meine gekauften Spiele noch spielen, und muss für das komplette Erlebnis für zusätzlichen DLC bezahlen. Den ich so nirgends mehr kaufen kann. Das ist so, als ob in diversen Büchern in meiner Sammlung Kapitel rausgerissen sind, wo der Vermerk zum Kauf der Kapitel drin ist, es aber dann keine Buchläden mehr gibt, wo ich diese herbekomme… geschweige denn das ganze Buch.
Wertlos. Zum Wegwerfen. Wie ein leerer Milchkarton in einer Welt ohne Molkerei. Wie eine Wasserflasche in der Wüste Gobi. Wie ein verbrauchtes Konsumgut. Ohne Möglichkeit, es weiterhin im vollen Umfang zu nutzen.
Ich habe Angst davor, dass sich die Spiele verbrauchen!
Und ich denke, ich bilde mir das nicht ein.
Danek für eure Aufmerksamkeit.
Zur Zeit ist ja das Modell des Free2Play in aller Munde und macht auch nicht vort großen Spiele-Titeln nicht Halt. Allerdings sorgt die Monetarisierung bei diesen Spielen für regelmäßigen Frust unter den Gamern. Ich verfolge Zur Zeit die Entwicklung des neuen Mechwarrior Online, welches erst kürzlich vom Stand-Alone Titel zum MMO Game umgestrickt wurde – vom Verkaufstitel zum Free2Play. Auch hier stellt sich mit wieder die Frage, auf welche Art und Weise damit Geld verdienen möchte. Einerseits ist es für den Publisher wichtig, so viele Spieler wie möglich anzusprechen, gleichzeitig hat das Battletech Universum noch jede Menge Hardcore Fans, die man mit einem weichgespülten Game und „Bezahle Features um Gewinnen zu können“ droht zu vergraueln.
Ist jetzt eventuell ein bisschen OffTopic, aber:
das mit dem „Zwischencontent“ gibt es in der „echten“ Bücherwelt schon länger.
Ein Beispiel sind die Perry Rhodan-Romane. Diese erscheinen wöchentlich und bilden immer Handlungszyklen in Blöcken von 50, 100 oder 200 Heften mit einem Oberthema.
Zwischen diesen Zyklen gibt es dann ab und zu noch diesen „Zwischencontent“ in Form von Miniserien in Buchform.
Diese Miniserie KANN man kaufen, MUSS man aber nicht, sie beinflussen nicht die weitere Geschichte der Heft-Serie, behandeln aber den ein oder anderen Punkt der in den Heften (aufgrund der Limitierung von ca. 60 Seiten/Heft) keinen Platz hatten ausführlicher. Und auch diverse Nebencharaktere werden detailierter ausgearbeitet.
Bei Perry Rhodan klappt dieses System super:
die reinen Heftchen-Leser schmöckern ihre Romane und gut. Wer mehr möchte, kauft sich halt noch die Zusatzbücher.
Bei Videospielen finde ich sowas allerdings eher unvorteilhaft. Da möchte ich schon das konplette Spiel. Auch wenn ich es gebraucht kaufe.
[…] beschrieb diesen Sachverhalt schon vor ein paar Jahren auf Kollisionsabfrage und hatte den Eindruck, dass die Situation schärfer geworden ist. Gemeinsam mit Manu hat er sich […]