Ich bin eine Ziege. Eine unzerstörbare Ziege. Todesmutig kann ich mich von hohen Türmen fallen lassen, an Tankstellen Explosionen verursachen, mich in einen großen Ventilator stürzen, mich vor ein Auto werfen oder mich in Brand setzen lassen. Dabei werden sich sämtliche Gliedmaßen verdrehen, verrenken, dehnen, doch am Ende geschieht mir nichts. Ich bin wie aus Gummi, ebenso wie die Menschen um mich herum. Hier stirbt niemand wirklich, sondern steht nach einem Unfall wieder auf – es sei denn, ich halte sie mit meiner elastischen Zunge fest. Ich kann so ziemlich alles damit lecken und festhalten. Kleinere Gegenstände ziehe ich hinter mir her; bei größeren habe ich aber Pech und sie ziehen mich mit. Oh ja, ich bin eine Ziege. Eine unzerstörbare Ziege mit einer fleixblen Zunge und der großen Lust Chaos zu stiften.

Völlig losgelöst

Der Goat Simulator ist eigentlich ein Scherz, den Entwickler Coffee Stain Studios zu einem Game Jam entwickelt hat, um Simulationsspiele zu parodieren. Als sie den Prototypen auf Youtube zeigten, fand das Projekt aber so großen Zuspruch, dass sie sich entschlossen das Spiel in einen lauffähigen Status zu bringen. Sie erkannten aber auch, dass sämtliche Fehler und Bugs des Prototypen zum Witz des Spiels beitrugen, also behielten sie sie im Programm. Das Resultat ist eine Ragdoll-Parodie, bei der die Physik scheinbar keine ist: Hier kann alles passieren! Meterweit können Objekte durch die Luft fliegen, Lebewesen verrenken sich auf völlig unnatürliche Weise und die Kombination von unwahrscheinlichen Physikobjekten kann noch unwahrscheinlichere Reaktionen provozieren. Was geschieht, wenn ich mit meiner Zunge ein Auto vor ein fahrendes schiebe? Oder wie reagiert die Physik, wenn ich mit einer Axt an der Zunge auf ein Trampolin springe? Fest steht: Es wird niemals realitätsnah, sondern völlig überdreht und verrückt aussehen.
 
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Eingebettet wird der Irrsinn in das Korsett eines auf Stunts basierenden Sportspiels, wie man es von Tony Hawk kennt: Besondere Aktionen und Moves werden mit Auszeichnungen prämiert. Ebenso zählt das Spiel Punkte und hat ein Combo-System, was den Spieler dazu motiviert die abwegigsten Ideen auszuprobieren. Darüber hinaus sind verschiedene Geheimnisse versteckt, die zu verschiedenen Easter Eggs und Hinweisen auf die Metaebene führen. Ja. Metaebene. Richtig gelesen. Goat Simulator ist auf der einen Seite absurder, sinnloser Spaß; perfekt auf das Youtube-Publikum oder Sessions mit Freunden zugeschnitten. Es verärgert Spielkritiker und Spieldesigner gleichermaßen, weil es trotz seines schlampigen Game Designs unbestreitbar Freude bereitet und allen Game Studies, die Videospiele auf eine höhere Kulturebene hieven wollen, hämisch ins Gesicht spuckt. Es ist sich seiner selbst sehr bewusst; weiß, dass es eine Frechheit ist, und lacht dämlich, herablassend, verspottend. Wie eine Ziege. Und trotzdem ist sie da: Die Metaebene, welche das Fegefeuer symbolisiert.

Zwischen Himmel und Hölle

Schilder in der Spielkarte teilen sie in zwei Bereiche auf: Richtung Himlen (Himmel) und Richtung Helvete (Hölle), auf der nicht nur eine engelsgleiche und eine teuflische Ziege, sondern auch passende Personen und Objekte positioniert sind, die sich mehr oder weniger auf der jeweiligen Hälfte befinden, und somit mehr oder weniger als gut oder böse zu beurteilen sind. Himmel und Hölle sind aber immer noch ein paar Kilometer weit entfernt, man befindet sich genau in der Mitte. Während der Läuterung ist keine Interaktion mit anderen Lebewesen zulässig: Was immer man mit der Zunge berührt, wird sofort leb- und willenlos. Ständig bleibt man allein, ist nie Teil einer Gruppe, bleibt stets isoliert und nicht einmal ein Suizidversuch als Ausweg aus der bizarren Umgebung ist von Erfolg gekrönt. Wer die Ziege eigentlich genau ist, ob sie vielleicht auf der Erde ein Mensch war, bleibt ungewiss. Klar ist aber, dass Ziegen in der Menschheitsgeschichte oft für Götter geopfert wurden. Wäre es also nicht eine echte Prüfung, gar eine gerechte Strafe im Fegefeuer, wenn man dort plötzlich als Ziege aufwacht?

Nach dem anfänglichem Spaß bekommt dieser plötzlich einen unheimlichen Sinn und man gewinnt den Hauch einer Ahnung, wie Wahnsinn sich vielleicht anfühlen könnte. Dem Unterhaltungswert des Spiels hilft dies nur bedingt weiter: Für mich ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich Goat Simulator noch einmal starten werde. Es ist zweifelsohne ein gelungener Scherz mit düsterer Note, über den ich gerne gelacht habe. Aber hört man einen Witz ein zweites oder drittes Mal, verliert dieser schlichtweg an Reiz.

Goat Simulator
Ganz offensichtlich ist dieses Spiel als Scherz angelegt und unterhält dementsprechend nur für eine kurze Zeit. Dass dem anarchistischem Spaß aber eine unerwartete Metaebene innewohnt, lässt aufhorchen und in die Hände klatschen. "Well played" möchte man sagen.
6Gesamtwertung