Zwischenzeitlich wird wohl niemand mehr an der grundsätzlichen Qualität von „Call of Duty: Modern Warfare 2“ zweifeln. Wir sprechen hier von einem ausgezeichnetem Spiel mit einer packend inszenierten Singleplayer-Kampagne, dem besten Multiplayermodus auf dem Konsolenspielsektor und vielen Bonusmissionen, die auch im Splitscreen in Angriff genommen werden können. Der Umfang des Spiels ist für sein Genre beachtlich, die technische Umsetzung gerade in Bezug auf die Akustik und den gescripteten Ereignissen absolut vorbildlich. Das Spiel erlaubt sich kaum Fehler im Gameplay, steuert sich absolut erstklassig und hat sich das Lob aus der Fachpresse redlich verdient. Insofern ist die Fortsetzung zu einem der beliebtesten Kriegstitel als Spiel an sich eine absolute Empfehlung, sofern man dem Szenario nicht abgeneigt ist. Allerdings hat Modern Warfare 2 noch vor dem Release unangenehm von sich Reden gemacht. In einem mutmaßlichem PR-Stunt hat Activision wenige Tage vor dem offiziellem Verkaufsstart ein Video ins Internet fließen lassen, in dem eine Prolog-Mission zu sehen war. Der Spieler übernimmt dort die Rolle von einem amerikanischen Undercover-Agenten, der sich als Mitglied einer terroristischen Gruppe ausgibt und an einem Massaker auf einem russischen Flughafen teilnehmen muss. Konkret: Es werden aus der genretypischen Ego-Perspektive kaltblütig zahlreiche Zivilisten erschossen. Während die Gruppe durch die Hallen streift, schießen sie auf alles, was sich bewegt. Eine Frau rennt um ihr Leben, aber sie bekommt einen Schuss in den Rücken. Ein Mann versucht einen Verwundeten aus dem Feld zu ziehen, aber beide werden mit einem Maschinengewehr niedergestreckt. Sicherheitskräfte haben gegen die schwer bewaffneten Terroristen keine Chance, der gesamte Flughafen gleicht nach dem Anschlag einem Schlachtfeld; dem Resultat eines grausamen Gewaltorchesters, bei dem die Terroristen den Dirigentenstab in der Hand hielten. Folgen eines PR-Stunts Solche Szenen riefen selbst unter den hartgesottenen Spielern eine regelrechte Empörungswelle aus. Selbst als bekannt wurde, dass man in der angepassten deutschen Version zwar diese Mission spielen kann, aber nur auf Sicherheitskräfte feuern darf, wurde diese kontrovers diskutiert. Wie auch immer der Disput weitergeführt wird, es ist angesichts der Doppelmoral vieler Spieler, der Scheinheiligkeit vieler Journalisten und den zugenähten Lippen der Produzenten leider abzusehen, dass nur wenige die tatsächliche Schwierigkeit von Modern Warfare 2 thematisieren. Denn problematisch an diesem Spiel sind weder die provokante Flughafen-Mission, noch die vielen anderen kleinen oder großen moralischen Grenzüberschreitungen, denen man im Laufe der Kampagne begegnet. Problematisch ist lediglich die Naivität des Plots. Als der amerikanische Undercover-Agent am Tatort erschossen aufgefunden wird, geht die russische Regierung von einem amerikanischen Terroranschlag aus und nutzt diesen als Ausrede für einen großflächigen Frontalangriff auf Amerika. Das ist selbst für einen irren Fiebertraum der banalste, haarsträubenste und dümmste Grund, den sich die Entwickler für das kommende Inferno hätten ausdenken können. Von politischen Spannungen, wirtschaftlichen Verwicklungen und anderen globalen Auswirkungen, die nichts mit Schießpulver zu tun haben, will der Plot von Modern Warfare 2 nichts wissen. Stattdessen wirft bereits das Intro mit hohlen Parolen um sich, die Militärgewalt verherrlichen und Amerika als Weltpolizei glorifizieren. Das ist für ein Videospiel an sich nicht schlimmes, so lange es deutlich macht, es handele sich hierbei um eine ironische Darstellung. Aber dieses Gefühl bekommt man indes bei Modern Warfare 2 nie. Die treibende Musik von Hans Zimmer, die hollywoodmäßige Inszenierung und generell der unrealistisch hohe Actionanteil sagen zwar zum Spieler: Das hier ist nur Spaß. Aber angesichts der Prolog-Mission, Andeutungen auf Folter und das Schüren von Rachegelüsten[1] wird man das Gefühl nicht los, das dort etwas zwischen den Zeilen liegt. Fast Forward Denn eine Botschaft kann das Spiel nur in wenigen Momenten transportieren. Etwa dann, wenn auf amerikanischen Boden Schlachten inmitten spießiger Eigentumshäuser ausgetragen werden oder man durch Schützengräben direkt vor dem weißen Haus robbt. In diesem Augenblicken scheint das Spiel den Spieß für den kriegstreibenden Amerikaner umzudrehen und zu sagen: Schau wie sich all die Menschen in dem Land fühlen, die deine Regierung angreift! Den Krieg direkt vor solche Wahrzeichen der USA zu setzen ist plakativ, aber entfaltet eine ungeheure Kraft, die vermutlich auch den gleichgültigsten Videospieler für einige Sekunden innehalten lässt. So können all die kleinen und großen Dinge, die moralisch bedenklich sind, als das vielleicht interessanteste am Spiel gewertet werden, ja, sogar als das mutigste. Denn wenn wir ganze Trauben von Zivilisten niedermähen, dann lässt das niemanden kalt; das gesamte Spielprinzip des Ego-Shooters wird ad absurdum geführt: Wir wollen eigentlich nicht weitergehen, aber die Terroristen lassen bzw. das Spiel lässt kein Zurückgehen, keine andere Handlung zu. Wenn ein Kamerad Folterinstrumente herausholt, wollen wir rufen: So nicht! Doch der Soldat schickt uns weg und verschließt den Raum. Solche Sequenzen hinterlassen Eindruck. Sie sind weder subtil oder sonderlich intellektuell, aber sie bewirken das kurze Innehalten des Spielers. Augenblick, habe ich das gerade richtig gesehen? Ist das nicht etwas zu derb für ein Spiel? Ist die Realität nicht sogar noch viel schlimmer? Ist es gut, was ich hier tue? Aber das Spiel läuft in einer irrwitzigen Geschwindigkeit weiter und lässt solchen Momenten keinen Raum zur Entfaltung. Stattdessen wird jede Emotion, die wir während solcher Szenen empfinden, nur wenige Sekunden später mit noch mehr bombastischer Action erstickt. Eine Atemlosigkeit, die die Luft zu Denken raubt. Modern Warfare 2 verkauft sich in dieser Beziehung also unter Wert. Es hätte mit seiner tollen technischen Umsetzung und seiner Popularität die Chance gehabt ohne Verlust seiner gewaltigen Achterbahnfahrt unterhaltsam und kritisch zugleich zu sein. Keiner der alten Interessenten hätte sich abgewendet, denn all die Attribute, die diese so anziehend finden, hätten auch weiterhin ausreichend Platz gefunden. Mit etwas mehr Selbstreflektion und einigen Momenten des Fingerzeigs wäre es ein Spiel mit zwei Gesichtern gewesen; eine Actionorgie, die auch kritisch mit sich selbst umgegangen wäre – und vielleicht auch wirklich etwas zum Krieg zu sagen gehabt hätte. So wird Modern Warfare 2 als reines Produkt und in kommerzieller Hinsicht seine Spuren hinterlassen, doch so gut wie keine in den Seelen der Videospieler. [1]Washington D.C. wird von den russichen Invasoren fast dem Erdboden gleichgemacht. Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung fragt ein Soldat seine Kameraden: „Wann fliegen wir endlich nach Moskau?“↩