Ich liebe die Kara-Techdemo von Quantic Dream. Der kurze, in Echtzeit auf der PS3 gerenderte Film, der als Werbung für die Grafikengine hinter dem kommenden Spiel Beyond: Two Souls fungiert, ruft innerhalb kürzester Zeit und mit minimalster Handlung Emphatie für die Protagonistin hervor. Kara ist eine Roboterfrau, die in einer Fabrik zusammengesetzt und dabei auf ihre einwandfreie Funktionalität getestet wird. Ein Techniker bewacht den gesamten Prozess, lässt sie verschiedene Sprachen sprechen und ihre ersten Schritte gehen. Die Kamera bleibt dabei die meiste Zeit auf Karas Gesicht. Wir werden Zeuge einer ungewöhnlichen Geburt und wie sie innerhalb von Sekunden Freude und Faszination für ihre eigene Existenz gewinnt. Als sie vom Techniker erfährt, sie sei nur ein Merchandise-Produkt und sie erwidert, sie sei im Glauben gewesen tatsächlich zu leben, ist er im Begriff sie als defektes Modell zu deklarieren und wieder auseinander zu bauen. Kara fleht um ihr Leben. Und wir flehen mit. In drei Minuten umfasst Quantic Dream mit seinem Demo-Film die Quintessenz vieler Science Fiction-Romane, begreift den Aspekt der Unschuld von Menschen geschaffenen Robotern, die in eine böse Welt hinein gebaut werden – wie Kinder die die Last ihrer Eltern zu tragen haben. Maschinen, die dem Menschen ähnlicher sind, als der Mensch selbst.
Auch den Demo-Film vor Heavy Rain habe ich geliebt. Hier kommt eine virtuelle Schauspielerin zu einem Casting und führt einen Monolog. Es geht um eine Frau, die von ihrem Mann betrogen wird und diesen in ihrer Wut erschießt. Aber im Kern geht es um mehr: Um das routinierte Leben des Mittelstands, die geringe Chance auf Besserung und die Flucht in Affären, um dem Trott zu entkommen. Der kurze Film beschreibt eine Welt, in der jeder für sich allein lebt, jeder mit seinen Problemen kämpft, ohne sie jemanden mitteilen zu können. Er beschreibt die Depression vieler aus der westlichen Welt, die nur schwer zu fassen ist, aber trotzdem existiert. Auch hier braucht Quantic Dream nur wenige Minuten, um eine dichte Stimmung und Emotionen zu erzeugen. Mit Computergrafiken.
„It wasn’t bravery, it was love.“
– Scott Shelby


Doch gleichzeitig ist das Spiel ein großes Ärgernis. Man hat fast den Eindruck, mit jeder guten Idee fügt sich im Wechselspiel eine schlechte hinzu: Das Spiel hat ein wundervolles, herrlich depressives Art Design, dass den Spieler in eine melancholische Stimmung stürzt und ihn über die gesamte Laufzeit fest umklammert. Kräftige, helle Farben einer heilen Umgebung treffen auf entsättigte, dunkle Töne; eine ständig im Regen befindliche, traurige Welt, in der Menschenschicksale aufeinander prallen. Die Kontraste und Motive mögen kitschig sein, doch das Spiel vermittelt seine düstere Stimmung derart überzeugend, dass man sich gerne mitreissen lässt. Und das ist auch bitter nötig: Bei näherer Betrachtung stecken die Charaktere voller schlechter Klischees. Das Drehbuch leiht sich Stereotypen aus mehreren Jahren Geschichte des Unterhaltungsfilms, nur leider nicht des anspruchsvollen Dramas. Die Figuren sind also so, wie sie aussehen, unter der Oberfläche aber nie so vielschichtig wie richtige Menschen – oder der zumindest der Anschnitt von Ihnen, der in anspruchsvoller Literatur oder eben dem anspruchsvollem Film zu finden ist. Manche Elemente sind sogar schrecklich banal: Um die heile, schöne Welt des Protagonisten vor schicksalhaften Ereignissen zu illustrieren, lässt man das Tutorial beispielsweise bei prallem Sonnenschein und in einem üppigen, großräumigen, ja, ziemlich luxuriösen Familienhaus stattfinden. Natürlich lebt dieser Mann nach den tragischen Ereignissen fortan in einer kleinen Vorstadt-Schabracke. Wo sonst?
Ich verstehe durchaus, dass David Cage, der Autor des Drehbuchs, versucht hat mit seinen Charakteren Alltagsängste zu vermitteln. Schließlich befinden wir uns in diesen Szenen auch in der Haut der Reporterin, was uns mitfühlen lässt und definitiv vermittelt: Dies ist unangenehm und man wünscht es niemandem! In der Summe ist Cage aber über das Ziel hinausgeschossen: Der Vater des entführten Kindes wurde von seiner Frau verlassen, nachdem ihr zweites Kind bei einem Unfall starb. Sie hat aufgegeben. Der Privatdetektiv besucht zwei Damen. Eine davon ist Prostituierte und hat bei der Entführungs- und Mordserie ihr Kind verloren. Sie hat sich vorher schon verkauft, und macht es jetzt erst recht. Die andere Dame ist zum Zeitpunkt des Besuchs sturzbesoffen und der Detektiv kümmert sich um das Baby, dass weinend, hungrig, und in der eigenen Scheiße im Nebenzimmer liegt. Es ist ziemlich auffällig, dass sämtliche Männer trotz ihrer Fehler eine klare Motivation haben und eine gewisse Heldenrolle einnehmen, während die Frauen trotz guter Absichten Opfer ihrer Hilflosigkeit sind. In einer Szene opfert der Vater einen Finger, damit sein Sohn weiterleben kann. Seinen Stolz behält er. Die Reporterin hingegen nicht – nachdem sie sich ausgezogen hat, sich hat fesseln lassen und mit dem Vater zum Trost geschlafen hat.

„Time to play the sexy girl!“
– Madison Paige
In der Sexismus-Debatte wurden bisher vermehrt attraktive Figuren kritisiert. Bei Heavy Rain ist er aber tatsächlich in der Dramaturgie des Spiels verankert. Die Streichung ein paar solcher Elemente hätte den Gesamteindruck wesentlich entschärft, und nein, so wie es jetzt ist macht es das Spiel keinesfalls kaputt. Der Vorwurf der Misogynie fällt angesichts der Tatsache, dass der Spieler das Leid der weiblichen Charaktere selbst nachempfinden soll, auf wenig fruchtbaren Boden. Aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack und der Eindruck von Einfallslosigkeit. Die Tagline „How far will you go for love?“ mag zwar schön klingen, wirklich dem Plot angemessen angewandt wurde sie hier nur auf die männlichen Figuren, während die Frauen mehr oder weniger unbeabsichtigt Marionetten bleiben.
So bin ich hin und her gerissen. Ich finde das Spiel sehr mutig. Es ist nicht das, was ich von einem Videospiel erwarte und ich denke entgegen der Meinung der Entwickler nicht, dass es die Welt der Videospiele in irgendeiner Form voran bringt. Dafür ist das Gameplay-Korsett zu eingeschränkt; selbst gemessen an den Maßstäben der üblichen Tunnelsysteme, die heutige Spiele fahren. Auf der anderen Seite ist es ein Spiel, dass auch ein unerfahrenes Publikum ansprechen kann, weil es den Fokus auf Dinge legt, die Nicht-Geeks mehr interessiert: Menschen, Geschichten, Wahlmöglichkeiten, vielleicht auch einfach Kino zum mitmachen. Und trotz aller Kritik bleibt es ein einzigartiges Spiel – ein Merkmal, was in der heutigen Spielelandschaft nicht einfach zu erreichen ist. Wirklich schade also, dass Heavy Rain aus verschiedenen Gründen an seinem eigenem Anspruch scheitert. Vor allem im Kontrast zu den beiden eingangs erwähnten Demo-Filmen.


Neu auf http://t.co/ohTnYfRA: Oberflächliche Emotionen in einer tiefgründigen Welt http://t.co/LXLUSCGD
Die beiden Techdemos brillieren vor allem durch gutes Schauspiel und durch exzellente Vertonung. „Mute“ finde ich die Tech-Demos doch wieder recht gewöhnlich. Klar, das Gesamtkunstwerk muss man erstmal so hinlegen können. Der Beigeschmack eines Taschenspielertricks bleibt mir trotzdem.
Zum eigentlichen Kern des Artikels – die Diskussion um Geschlechterbilder in Heavy Rain ist schon lange überflüssig. Ein over-the-top-Kracher wie Lollipop Chainsaw ist da wohl ein einfacheres Ziel. Der Fembot aus der Techdemo ist so ganz nebenher auch in einer komplett machtlosen Position und muss ihren Wert vom männlichen Techniker zugewiesen kriegen, Nur mal so nebenher.
Zur Vertonung: Von einem Taschenspielertrick kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein. Bild und Ton bilden seit vielen Jahrzehnten ein Gesamtwerk und selbstverständlich spielt Sprache bei einer Techdemo. die Schauspiel von Computerfiguren demonstrieren soll, eine große Rolle. Sonst würde sie wenig Sinn machen, oder? Deiner Argumentation nach sind sämtliche dialoglastige Filme ein gigantischer, hinterhältiger Trick, weil man ja hört, was die Leute sagen. Merkste selbst, ne?
Wegen der Debatte pflichte ich bei: Das war überfällig! Ich bin sicher, man kann die Analyse noch wesentlich tiefer treiben (meine Absicht war hier eher eine Rezension), aber die Missachtung von Heavy Rain bei der Diskussion der letzten Monate unterstützt nur meinen Eindruck von Oberflächlichkeit und Heuchlerei. Es ist nunmal einfach auf sämtliche Bayonettas, Lara Crofts und Juliettes zu schießen, weil man ja „ganz offensichtlich“ schon am Cover sehen kann, wie sexistisch die Spiele sein müssen. Bei näherer Betrachtung, wie es jetzt im Fall von HR nötig gewesen wäre, zerfallen nicht alle, aber viele Argumente im Kontext des jeweiligen Spiels (die ja teilweise ja noch nicht einmal erschienen sind, siehe Tomb Raider).
Interessanter Schlußgedanke zum Fembot. Stimmt, ja. Manche Kinofilme brauchen die komplette Laufzeit, um das zu erklären und zu kritisieren :D
Wirklich gutes Review auf @kolliNET über #HeavyRain und deren Sexismus, der sich in der Handlung wiederspiegelt. http://t.co/4Rhlsgtl
[…] das nur etwas Gutes sein! Daher waren auch Jessi und Micha sehr gespannt auf das Nachfolgewerk von Heavy Rain – und sind begeistert. Da es sehr schwer ist über dieses sehr auf Handlung konzentrierte […]
[…] das nur etwas Gutes sein! Daher waren auch Jessi und Micha sehr gespannt auf das Nachfolgewerk von Heavy Rain – und sind begeistert. Da es sehr schwer ist über dieses sehr auf Handlung konzentrierte […]
[…] zunächst nur wenig Sinn ergeben. D4 ist das genaue Gegenteil von hochkarätigen Produktionen wie Heavy Rain oder Beyond. Und doch versprüht es in den ersten fünf Minuten bereits mehr Charme als beide […]