Du hast nur zu Beginn und zum Schluss des Spiels die Gelegenheit in die Augen von Isaac Clarke zu sehen. Hinter dem starken, maskulinen Gesicht wirst du die tiefe Traurigkeit entdecken, die Isaac in sich trägt. Sie begründet sich in der Sorge um die Frau, mit der er sein Leben verbringen wollte; bei der er das Gefühl hatte, alles zu haben. Aber nun hat er nicht mehr als eine verworrene Videoaufzeichnung von ihr – das letzte Lebenszeichen, bevor das Minenschiff, auf dem sie zuletzt stationiert war, einen Notruf gesendet hat. Isaac wird für das restliche Spiel seinen Helm auf dem Kopf behalten und es hängt ab diesen Zeitpunkt von deiner Vorstellungskraft ab, wie sehr du das Leid mit ihm teilst. Isaac wird nämlich nicht ein einziges Wort sagen, seine Maske stets behalten und dich kommentarlos dem Grauen auf der USC Ishimura überlassen.

Die Ishimura ist ein fortschrittliches, gewaltiges Raumschiff; ein ungehobeltes Ungetüm aus Abermillionen Maschinenteilen. Sollte die Zukunft tatsächlich so aussehen, hat man allen Grund Angst zu haben, denn das Schiff ist eine der lebensfeindlichsten Umgebungen, die man sich Vorstellen kann. Du trittst eine Reise durch ein überzeugend konstruiertes metallenes Monster an. Durch Luftkanäle, in denen du dich fühlst wie ein Insekt in einem Staubsauger. Durch Kabelgeflechte und riesige Motoren hindurch, die dir den Atem zu nehmen scheinen. Auch wenn sich die Architekten der Ishimura sichtlich um einen komfortablen Lebensraum bemüht haben, so drückt das Gewicht des gewaltigen Technikkonstruktes ständig auf dein Gemüt. Das wird dir vor allem in den Maschinenräumen klar, in denen die Motoren offen liegen; du tief in das metallene Skelett aus Zentrifugen, Hydrauliken und Reaktoren blicken kannst. Stützpfeiler und Wandvorrichtungen, an denen du dich schneiden könntest. Kühlrippen und Antennen, die dich aufspießen könnten. Irritierend große Hallen, in denen du dich noch verlorener und angreifbarer fühlst. Klaustrophobische Gänge, die dich zu erdrücken scheinen. Unendlich lange Tunnel, an denen du am Ende kein Licht siehst. Das etwa zwei Kilometer lange Raumschiff ist also der tatsächliche Hauptdarsteller des Spiels. Der Grund, weshalb du dich unwohl fühlen wirst.

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Sicherheit: Ein Fremdwort.

Ist das gewaltige Schiff schon bei heller Beleuchtung ein eher unangenehmer Ort, so wirkt die durch Stromausfälle resultierende Dunkelheit erst recht wie eine fortgeschrittene Geisterbahn. Du leuchtest mit deiner Taschenlampe in die finsteren Ecken und musst jederzeit damit rechnen, dass dich etwas anspringen wird. Dieses Etwas könnte dich auch durch Luftschächte, Kabelkanäle oder Zuleitungsrohre erreichen. Es ist überall, umgibt dich wie ein Schleier und scheint dir zuzurufen: Egal wo du dich versteckst, ob du dich im letzten Winkel einkauerst oder dich an der Außenwand durch die Schwerelosigkeit bewegst. Ich werde dich finden.
Du findest schnell heraus, dass dieses Etwas sich die Körper der Toten auf der Ishimura aneignet und aus ihnen neue Kreaturen formt, in denen nur noch mit viel Mühe etwas Mensch zu erkennen ist. In das verformte Fleisch sind die schmerzgezeichneten Fratzen eingebrannt, deren letztes Seelenfragment sich an das friedvolle Leben zurückerinnert. Aber es ist eingezäunt durch bizarre Mutationen; einer grotesken Anordnung von Fangarmen, Tentakeln und spitzen Knochen, die darauf ausgelegt sind, anderen körperliches Leid zuzufügen. Die einstigen Angestellten der Ishimura sind nun instinktgesteuerte Jäger geworden, die jedes andersartige Lebewesen bis aufs Blut verfolgen und zerreißen wollen. Dir bleibt nichts anderes übrig als dich mit zweckentfremdeten Werkzeugen gegen sie zu wehren. Doch egal ob du ihnen mit dem Bolzenschussgerät den Kopf abschneidest, ihnen mit der Säge die Beine abtrennst oder ihnen mit dem Bunsenbrenner den Leib verbrennst: Sie werden so lange nicht aufgeben, wie ihr Körper sich bewegen kann. Sie werden verbittert und mit letzter Kraft mit einem markerschütternden Schrei auf dich zu kriechen, bis du sie zu einem zuckenden Fleischhaufen zerlegt hast.

Die Gründe weshalb all das geschieht wirst du auf deiner Flucht von dem Schiff Stück für Stück erfahren. Die wenigen Überlebenden, die dich begleiten oder die du treffen wirst, werden dich in die Irre führen; dich täuschen, aber auch überraschen. Du wirst dir niemals sicher sein können, wer auf deiner Seite steht, wer dich ausnutzt oder welche Verbindungen zwischen den Einzelnen bestehen. Du wirst erstaunt über die Vielschichtigkeit des Geschehens sein und erkennst durch viele kleine Puzzleteile allmählich das grauenhafte Gesamtbild. Es formt sich durch die Audioaufzeichnungen, die du bei Leichen oder in der Umgebung findest; durch Tagebucheinträge oder Arbeitsprotokolle, durch Videoaufzeichnungen oder verzweifelte Hilferufe, die mit letzter Kraft mit Blut an die Wände geschrieben worden sind.

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technisch nahezu perfekter Alptraum

Du magst zwar auf deinem Sofa sitzen, wirst dieses aber unter dir nicht mehr spüren, da du so sehr in das Spiel eintauchst; fast organisch mit Isaac verbunden bist. Zweifel an der düsteren Welt werden nie aufkommen, die die Entwickler geschaffen haben. In flackernden und flirrenden Lichtern wird die Liebe zum Detail sichtbar. Alles in dieser Welt ist so plausibel und zueinander so harmonisch gestaltet, dass dich nicht das Kleinste aus dieser gestalterisch und technisch fast perfekten Illusion entreißen wird. Wenn du von einem Transportlift aus hinunter in die Dunkelheit leuchtest und dich davor fürchtest, das zu sehen, was dort unten sein könnte, wird dir die Dichte der Atmosphäre klar. Wenn du glaubst aus der Dunkelheit das Flüstern einer weiblichen Stimme zu hören und während du lauscht, der Funkverkehr sich mit einem lauten Rauschen öffnet, zuckst du zusammen und bist von dem brilliantem Sounddesign überzeugt. Die Unsicherheit vermittelnde Hintergrundmusik umschleicht dein Gehör und greift mit einem Paukenschlag an, wenn dies auch deinem Avatar geschieht. Es gibt keine Bildschirmanzeigen, die dir verdeutlichen: Das ist ein Spiel. Alle Informationen, die du brauchst, werden durch ein HUD in Isaacs Anzug direkt und räumlich in die Spielewelt projiziert. Möglicherweise werden dir im letzten Drittel des Spiels die Kämpfe etwas zu häufig werden, aber davon abgesehen wirst du mit einem guten Mix aus Exploration, Kampf und Adventure-Aufgaben beschäftigt sein, dem viele überraschende Ereignisse und Herausforderungen hinzukommen, die die Zeit wie im Flug vergehen lassen. Es gibt keine Rätsel, die im diesem stringenten, überzeugenden Art Design nur unlogisch gewirkt hätten. Es gibt keine Superkräfte, die in dieser streng nach Sci-Fi-Prinzip funktionierenden Welt nur fehl am Platze gewesen wären.
„Dead Space“ ist ein in sich stimmiger, furchteinflößender und sehr spielbarer Horrortitel, dem der schmale Grad zwischen brachialem Splatter und subtilem Psychohorror gelingt. Es ist ein angsteinflößendes Gesamtkunstwerk ohne große Makel, was auch Naturen anerkennen müssen, die sich vor den gezeigten Motiven persönlich nicht fürchten. Aber auch die wären keinesfalls gern in Isaac Clarkes Haut.[1]

Dead Space
In beinahe jeglicher Hinsicht absolut brillantes Science Fiction-Survival Horror-Spiel, das subtilen Grusel mit kreischendem Splatter vereint. Der eigentliche Star ist aber trotz zahlreicher Alien-Gegner die Ishimura selbst, welche mit lebensfeindlich wirkendem Art Design und grandioser Raumdramaturgie Akzente im Genre setzt. Ein Meisterwerk!
10Gesamtwertung
  1. [1]Dieser Artikel wurde auch auf www.frightening.de veröffentlicht. Inhaltlich interessante oder besonders herausragende Titel werden auch auf Kollisionsabfrage veröffentlicht.