Großartig am Internet ist, dass jeder dort sagen kann, was er denkt. Ärgerlich ist wiederum, dass jeder dort verdammt noch einmal sagen kann, was er denkt. Im Zuge der immer weiter fortschreitenden Vernetzung über Social Networks, Blogs und dem Zeug drumherum ist mir dummerweise aufgefallen, dass die große Scheiße an diesem Internet ist, dass man früher oder später von Dingen Wind bekommt, über die man eigentlich nichts wissen wollte. Weil sie auf den Sack gehen. Oder überflüssig sind. Oder beides. Sicher, man hat eigentlich die Wahl, aber folgt mal auf Twitter ein paar halbwegs interessanten Personen, und es wird keine Woche vergehen, ehe sie Euch einen Link um die Ohren hauen, der den Blutdruck in die Höhe schellen lässt. Welch Ironie, solche Sätze auf einer Webseite über Spiele zu lesen? Allerdings. Trotzdem möchte ich meinen Gedankengang an dieser Stelle darlegen. Die große Scheiße an diesem Internet ist, dass man früher oder später von Dingen Wind bekommt, über die man eigentlich nichts wissen wollte. Man muss sich schon wirklich anstrengen, um nicht die neueste Empörungswelle auf Twitter mitzubekommen; etwa, weil Nintendo-Charaktere jetzt High Heels tragen, oder, weil ein Spiel exklusiv für eine Plattform erscheint. „Na gut.“ denkst Du: Mach ich Twitter aus und lese ausgewählte Artikel. Einmal zuviel nach unten gescrollt, und schon kommen die Kommentare von neunmalklugen Stammgästen auf den Bildschirm gerutscht, die sich mit abscheulicher Hassattitüde über Mumpitz[1] aufregen, der völlig belanglos ist. Hauptsache mal auf die Kacke hauen. „Naja ok.“ denkt man dann: Einfach mal Browser schließen. Zack. Facebook-Nachricht! Haste diesen krassen Scheiß schon gesehen? Du wirst es nicht glauben! Bei Bild Nr. 5 habe ich geweint! Selbst schuld? Oh ja! Ein Segen, wenn man einen Beruf hat, der nichts mit Medien zu tun hat, denn alle anderen müssen sich zugegebenermaßen vor Augen halten: Die Netzwerke sind ein einfach zugänglicher Kommunikationskanal, und wenn man mal schnell eine Frage loswerden möchte, die keinen Anruf erfordert, schickt man eben eine DM. Weil die Freunde ja eh mit Smartphone & Co im Minutentakt davor hängen. Im Reflex unterbrechen wir das Gespräch, kramen unser Iphone hervor und fragen Siri. Aha. Vielleicht, nein, sehr wahrscheinlich liegt hier ein Teil des Problems: Unsere Mobiltelefone können mittlerweile alles, also nehmen wir sie für jeden erdenklichen Kram in die Hand. Navigationssystem? Yup. Schnell was bestellen? Yup. Kochrezept raussuchen? Yup. Alles durchaus bequem und sinnvoll, doch wie sehr wir Sklaven von diesem Ding geworden sind, ist mir erst in dem Augenblick klar geworden, als ich mit einem Freund am Tisch saß und wir uns bei einem Kaffee unterhielten. Plötzlich fiel uns ein Name nicht ein; ein Schauspieler aus einem Film oder weissdergeier. Statt einfach darüber hinwegzufliegen und das Momentum des Gesprächs aufrecht zu erhalten, holen wir beide wie im Reflex das Iphone aus der Tasche und fragen Siri. Cronenberg hat in seinen Filmen u.a. die körperliche Vernetzung von Mensch und Maschine thematisiert. Ach was, unzählige Sci-Fi-Werke warnen vor dieser fatalen Verbindung! Betrachtet man unser krankhaftes Verhalten, bei dem wir keine 10 Minuten ohne Kontrollblick auf das Smartphone auskommen, sind wir eigentlich gar nicht weit davon entfernt. Wenn man nach ein paar Momenten das Gefühl bekommt, nicht mehr „up-to-date“ zu sein, ist zumindest die mentale Verbindung schon längst erfolgt. Nachts nicht einschlafen können, weil man nicht noch einen Blick auf Twitter geworfen hat – der nächste konsequente Schritt wäre eigentlich, sich das Scheißteil in die Hand implantieren zu lassen, damit man selbst unter der Dusche noch schnell einen Selfie schießen kann. Der Nebeneffekt an dieser Sache: Gedanken und soziales Leben verlagern sich partiell ins Netz. Und diese ganze Empörungskultur[2] wird dann plötzlich irgendwann für einen normal. Ich weiß das, weil ich teilweise selbst davon Opfer geworden bin. Ich finde es großartig über Spiele zu schreiben oder zu sprechen, aber man muss jederzeit einen Schritt zurück machen können, um zu sehen an welcher Stelle sie in der Liste wichtiger Dinge im Leben stehen. Ja, selbst wenn man mit Games wie ich seinen Lebensunterhalt verdient, gar ganze Regale davon voll stehen hat. Sich innerhalb dieser Welt der primär der Zerstreuung dienenden Spiele aber über absolute Nichtigkeiten aufzuregen; einfach, weil man es kann, ja, um in der verhängnisvollen Kaffeepause möglichst kompetent zu erscheinen: Absurd. Deswegen werde ich Menschen wie Angry Joe[3] nie verstehen, die sich in ellenlangen, energieverschwendenden Monologen darüber auskotzen, was ihnen an einem Spiel nicht gefällt. Ich werde nie verstehen, weshalb Phil Fish meint, wir müssten uns seine Spiele erst verdienen und ich raffe auch nicht, wie Arschlöcher das Privatleben anderer Menschen in aller Öffentlichkeit zerstören wollen, weil man angeblich – Achtung! – ethische Probleme im Spielejournalismus sieht. „Journalismus“ in Anführungszeichen, wohlgemerkt. Ich breche in schallendes Gelächter aus, wenn ich Artikel oder Kommentare lese, wo unkritische Redakteure wie Staatsverräter dargestellt werden, wie es bei #GamerGate der Fall ist. Aber das vergeht, wenn es persönlich wird. Wie soll sich Zoe Quinn davon bloß je wieder erholen? Es ist wichtig jederzeit einen Schritt zurück machen zu können. In der wunderbaren GEE, Ausgabe Februar 2006, wurde der großartige Katamari-Erfinder Keita Takahashi zitiert. Er sagte: „Was Menschen wirklich brauchen, ist Essen, Kleidung, und eine Wohnung, dann kommen Gesundheit, Erziehung, Politik und solche Sachen und dann auf Platz 1876 dieser Liste vielleicht mal Videospiele.“ Ich würde das Smartphone und seine ganzen Apps auch irgendwo im vierstelligen Bereich einordnen. Na gut. Vielleicht im hinteren dreistelligen Bereich. Und das Internet. Plusminus das ganze Zeug, dass uns täglich unterhält. Oder auf den Sack geht. Ansichtssache. Ich werfe hier viele Themen in einen Topf, aber die Quintessenz ist: Manchmal tut ein Schritt zurück einfach gut. Nach einer kleinen Pause kann so ein Schwachsinn wie Spiele dann nämlich auch wieder Spaß machen und man übersieht vor lauter Freude all die kleinen Kieselsteinchen, die einen vorher vielleicht noch wie große Felsen vorkamen. [1]Wir thematisieren das hier noch einmal kurz.↩ [2]Toni beschreibt es in seinem Blogeintrag sehr schön.↩ [3]Bei dem sich Kunstfigur und Realperson kaum voneinander trennen.↩