Ohne Frage betritt die durch Kickstarter ermöglichte Debutproduktion „Indie Game – The Movie“ von den beiden Filmemachern Lisanne Pajot und James Swirsky aufregendes Neuland. Sind gute Dokumentationen zu Videospielen ohnehin meist eher kommerziell initiiert und aus dokumentarischer Sicht somit kaum brauchbar, widmet sich das kanadische Duo voll und ganz einer Subkultur innerhalb einer derzeit werdenden Kultur. So portraitieren sie dort vier unabhängige Spieleentwickler; eigenwillige Individualisten, deren Gemeinsamkeit ihre starke Identifikation mit ihrem Projekt und der finanzielle Druck sind, der mit dem Heranrücken des Abgabetermins immer intensiver wird. Formal ist der Film dabei äußerst gelungen. Mit minimalem Equipment ist es den beiden Kanadiern gelungen einen sehr hochwertigen, aber vor allem ästhetischen Look zu realisieren. Die Kombination aus überlegter Kadrage, subtilen Slider-Fahrten, typischem DSLR-Look mit geringen Schärfebereichen und geschickt eingesetzter Licht- und Farbdramaturgie ist bereits beeindruckend. Den richtigen Schliff erreicht die audiovisuelle Aufmachung aber vor allem durch die raffinierte Montage, die verschiedene Erzählebenen jederzeit sinnvoll miteinander verwebt und die beiden parallel laufenden Informationskanäle Bild und Ton bedient, ohne den Zuschauer jemals zu überfordern. Der eigens für den Film geschriebene Soundtrack von Jim Guthrie, der sich an musikalische Konventionen der Szene orientiert, sorgt letztendlich dafür, dass der Film einen stets angenehmen Fluss beibehält, dem ein eigener Charakter, sowie eine Sogwirkung nicht abzusprechen ist. [1] Inhaltlich liegt die Konzentration nicht auf dem Spielprojekten, sondern auf den Protagonisten selbst. Die Figurenkonstellation wurde dabei sinnvoll komponiert. Mit Jonathan Blow, dem Entwickler von Braid, Team Meat, bestehend aus Tommy Refenes und Edmund McGillen, und Phil Fish, dem Erschaffer von FEZ, wurden drei unterschiedliche Entwickler begleitet, die sich während der Dreharbeiten in drei unterschiedlichen Stadien der Produktion befanden. Trotz der vier bisherigen Produktionsjahre ist die Entwicklung von FEZ noch am wenigsten fortgeschritten und wird zudem noch durch einen Rechtsstreit mit einem ehemaligem Produktionspartner massiv torpediert. Fish zeigt sich als eine Künstlerpersönlichkeit, die durch seinen Trieb zum Perfektionismus nicht zur exzentrische, sondern phasenweise sogar fast psychopathische Züge annimmt. Die krankhafte Identifikation mit seinem Spiel, als auch auch die massive Kritik bzw. Erwartungshaltung anonymer Kommentatoren auf seiner Webseite wecken in „the guy who makes FEZ“ sogar Gedanken an Suizid, sollte er das Spiel schlussendlich nicht veröffentlichen können. McNillen und Refenes sind mit ihrem Spiel „Super Meat Boy“ bereits weit gekommen, müssen aber unter enormen Zeitdruck auf einen Termin hinarbeiten, um ein marketingtechnisch günstiges Zeitfenster einhalten zu können. Auch wenn sich der an Diabetes erkrankte Refenes in Depressionen stürzt, so haben beide familiäre Ankerpunkte, an denen sie sich festhalten können. McNillen hat das Glück einer verständnisvollen Ehefrau, während sein Partner Zeit mit seinem Eltern verbringen kann. Der Release Day birgt für beide Mitglieder des Team Meat eine Form der Erlösung, mit der sie aber völlig unterschiedlich umgehen. Als Ruhepol dient der intellektuelle Jonathan Blow, der den Erfolg seines ersten Spiels „Braid“ reflektiert. Seine ruhige Persönlichkeit, als auch seine fast weise anmutender Erfahrungsschatz bringen den nötigen Ruhepol in den Film hinein. Schließlich hat er den Prozess bereits durchlaufen und diesen gesundheitlich wie geistig gut überstanden, obwohl gerade zum Release die Metaebene von Braid von den allermeisten Kritikern nicht befriedigend interpretiert, gar erkannt worden ist. Im Gegensatz zu den anderen dreien schien Blow zudem während der Arbeiten an einem Projekt die geringsten Schwierigkeiten mit der sozialen Anbindung an seine Mitmenschen zu haben. Refenes und Fish machen es sich da deutlich schwieriger. Den Fokus weg von dem Programmiercode auf den Menschen zu lenken, der diesen eintippt, entpuppt sich vornehmend in dem ersten Teil der Klärung als erfolgreiches Konzept. Vor allem für unbedarfte Zuschauer, die mit Videospielen bisher nur wenig bis keinen Kontakt hatten, wird den nicht-analogen Produkten ein Gesicht, ein menschlicher Bezug verliehen, der die Spieleentwicklung in dem vielleicht ausschlaggebendsten Teilaspekt entmystifiziert. „Indie Game – The Movie“ stellt den Bezug zu anderen Künstlern aus anderen Bereichen her und hebt zutiefst menschliche Eigenschaften, Entwicklungen und Probleme hervor, mit denen sich jeder Zuschauer global identifizieren kann. Beruflicher Erfolgsdruck, Leidenschaft und die Erfüllung eines Kindheitstraums sind bekannte, allgemeingültige Motive, von denen besonders ein Portrait über Underdogs lebt. Problematisch wird der Film allerdings in der zweiten Hälfte, wo er die Distanz zum eigenen Inszenierungsstil verliert und zunehmend melodramatisch wird. Zu Beginn wird die Identifikation mit dem eigenem Spiel durch equivalent gewählte Ingame- und Portraitaufnahmen mit passendem Originaltext ausgezeichnet und sympathisch illustriert, doch sie wird während der großen Schritte zum Finale beinahe bis zur Entfremdung überspitzt. Der Grund dafür liegt zum Teil in der Natur der Produktion: Um den immer schönsten Kamerawinkel zu finden und mannigfaltiges Material für die Montage zur Verfügung zu haben, wurden wesentliche Bestandteile des O-Tons offensichtlich „gefischt“. Es ist auffällig, dass dem Film auch in den dramatischen Situationen, wie z.B. Refenes Reaktion auf die verspätete Veröffentlichung seines Spiels, immer noch blendend gefilmt und geschnitten ist. An dieser Machart ist auch für ein dokumentarisches Portrait nichts verwerfliches, doch sie beginnt sich negativ auf das Gefüge auszuwirken, wenn sie den schmalen Grad aus Authentizität und Inszenierung verlässt. Das geschieht bei „Indie Game – The Movie“ leider zunehmend. Manipulation spielt nicht nur im Spielfilm, sondern auch bei einer Dokumentation je nach Auslegung der Regie eine bedeutende Rolle, doch sie sollte nie auffällig wirken, sich dem Zuschauer nie aufdrängen. In diesem Fall geschieht dies leider. Dass man sich zum Schluss gemeinsam mit McGillen über Reaction-Videos und die ersten Kritiken zu „Super Meat Boy“ freut, zeigt allerdings, dass der Film seine Wirkung nicht völlig verspielt und – salopp formuliert – noch die Kurve bekommt. Formal beeindruckend schöpft „Indie Game – The Movie“ sein volles Potential leider nicht aus, da er zu sehr daran interessiert ist seine Protagonisten zu Ikonen zu formen. Die Vermenschlichung von digitalen Produkten in einer von digitalen Medien überfluteten Welt ist allerdings gelungen und somit ist dieser Film trotz aller Seitenhiebe auf die Industrie sowohl für diese, als auch für Spielenerds und unwissenden Zuschauern ein unbedingt sehenswerter Erfolg.[2] [1]Nicht umsonst gewann der Film beim Sundance 2012 den World Cinema Editing-Award. http://www.sundance.org/festival/↩ [2]Micha und Manu besprechen den Film auch im breakfast@manuspielts-Podcast.↩