Jedes Spieleblog wird einmal auf das Thema Gewalt in Videospielen zu sprechen kommen. Daran führt eigentlich kein Weg vorbei, da in unserer aktuellen Generation diese Diskussion immer wieder von neuem aufkeimt. Wir haben das Thema zwar in der Vergangenheit bereits angerissen, aber niemals in einem Blogeintrag behandelt. Jetzt muss es endlich mal vom Tisch!
Eine richtige Meinung werdet ihr nicht von mir lesen, denn diese differenziert sich von Spiel zu Spiel und es wird in Spezialbereichen immer wieder neuen Zündstoff geben. Ich werde Euch in naher Zukunft mit dem leidigem Thema „Kriegsspiele“ konfrontieren, und auch da wird es selbstverständlich um Gewalt gehen. Daher möchte ich Euch an dieser Stelle lediglich – und quasi als Einführung – die wichtigsten Gewalttheorien und ein paar Fakten zum Thema vorstellen. Ich erhebe zunächst nicht den moralischen Finger und quäle Euch mit dem Thema dann für eine zeitlang nicht, denn: Auch ich bin es prinzipiell Leid. Aber mein Herz wird leichter, wenn ich folgende Zeilen einfach mal „runtergetippt“ habe. Außerdem: Mit den Namen zu den jeweiligen Theorien seid ihr für die nächste Sach-mal-du-spielst-doch-auch-sowas-Diskussion gewapptnet.

Wie gesagt: Seitdem es Videospiele gibt, wurde immer wieder kontrovers über die darin enthaltene Gewalt diskutiert. Primär im Zentrum der Diskussionen steht die Frage, in wie weit ein Spieler positiv oder negativ von der Darstellung von Gewalt beeinflusst werden kann – ganz besonders Minderjährige. Diese Debatte gelangt heutzutage zwar erst durch tragische Fälle von Amokläufen an Schulen temporär an die breite Öffentlichkeit, wird aber in Kreisen von Spielern, Wissenschaftlern und Kritikern bereits mit jahrelanger Beständigkeit geführt.

Videospiele bedienen sich Darstellungsformen und Szenarien unterschiedlichster Art und integrieren nicht zwingend, aber in vielen Fällen verschiedene Formen von Gewalt in das Spielgeschehen. Entgegen der allgemeinen Meinung vieler Kritiker besteht der Markt nicht hauptsächlich aus „Killerspielen“, wie sie die Boulevard-Presse nennt, sondern tatsächlich werden gerade einmal 17% des Gesamtangebots von der USK durchschnittlich im Jahr mit dem Siegel „keine Jugendfreigabe“ gekennzeichnet. Etwa 3% werden für den deutschen Markt nicht zugelassen.

Obwohl etwa ein Fünftel des Angebots von Minderjährigen nicht erworben werden darf, ist nicht automatisch darauf zu schließen, dass die restlichen vier Fünftel aus völlig gewaltfreien Inhalten bestehen. Tatsächlich ist in etwa 65% des Gesamtangebots durchschnittlich im Jahr irgendeine Form der Gewaltdarstellung vorhanden, die sich vornehmlich in ihrer Darstellungsweise, in ihrem dramaturgischen Kontext, sowie der Integration in die Spielmechanik differenziert.

Ähnlich wie in der Literatur und dem Film ist die Mannigfaltigkeit der enthaltenen Gewalt enorm. Sie reicht von einer comichaften Darstellung über für die Hauptcharaktere mit authentischen Konsequenzen versehene Darstellung bis hin zum reinen Selbstzweck. Durch die weltweit auftretenden Amokläufe in Schulen ist besonders das Genre der „1st-Person-Shooter“, auch bekannt als „Ego-Shooter“ ins journalistische Kreuzfeuer geraten (ja, Ihr dürft jetzt mit den Augen rollen). Das Spielgeschehen wird nahezu ausschließlich aus der ersten Person gezeigt, in der in den allermeisten Fällen die eigene virtuelle Waffe eingeblendet ist. Geschossen wird entweder auf menschenähnliche Figuren oder schlicht auf Menschen. Oft stehen die Schussgefechte in einem dramaturgischen Zusammenhang – so übernimmt der Spieler etwa die Rolle eines Geheimagenten oder die eines Soldaten in einem realen oder fiktionalen Krieg. Je nach gewählten Szenario reicht die Palette der verfügbaren virtuellen Waffen von authentischen Nachbildungen bis hin zu absurd überzeichneten Fantasie-Geräten. Die Auswirkungen der Waffen werden ebenfalls, abhängig von der Intention der Spieleentwickler, höchst unterschiedlich dargestellt. Für die Kritiker von Videospielen sind besonders die Exemplare auf dem Markt besorgniserregend, die auf eine möglichst realistische Darstellung setzen (und ja, jetzt dürft Ihr Seufzen).

Die folgende Ausarbeitung soll einen kleinen Überblick über Pro- und Contra-Thesen geben, die weltweit große Beachtung finden. Da dieses Thema relativ komplex ist und einem stetigen Wandel unterliegt, ist dieser Text keinesfalls als Analyse oder gar als Gegendarstellung zu verstehen. Er soll lediglich eine Übersicht verschiedener Positionen bieten und Anregungen für Diskussionen schaffen.

Wichtige Theorien:

In der Medienwirkungsforschung gibt es verschiedene Theorieansätze über die Auswirkungen von Gewaltdarstellungen in den Medien. Selbstverständlich sind Videospiele darin inbegriffen. Derzeit diskutiert und untersucht werden folgende:

    • Inhibitionstheorie:
      Gewaltdarstellungen in Medien können Verhaltenstendenzen bei den Beobachtern hemmen. Konrekt ausformuliert bedeutet das: Wird eine aggressive Handlung in einem Spiel bestraft, geht der Spieler an nachfolgende aggressive Verhaltensweisen möglicherweise bedachter heran und entwickelt schneller Schuldgefühle. Sieht der Spieler beispielsweise die authentisch Nachgebildeten negativen Konsequenzen eines Prügelei, wird er dadurch eingeschüchtert und seine Aggressivität wird gehemmt.
      Ebenso gibt es eine Gegendarstellung zu dieser Theorie, die besagt, dass durch die häufige Konsumierung gewalthaltiger Medien die Gewaltbereitschaft enthemmt wird.[1]

 

    • Katharsistheorie:
      Von dem Philosophen Aristoteles abgeleitet geht die Katharsistheorie davon aus, dass dem Menschen ein natürlicher Aggressionstrieb angeboren ist. Die Rezeption von Gewalt durch Medien bzw. das ausführen von aggressiven Handlungen in Videospielen kann ein Ventil sein um diesen Trieb abzuführen – besonders da Videospiele ein interaktives Medium sind. Dadurch sinkt folglich der Drang im realen Leben entsprechende Handlungen auszuführen.
      Voraussetzung für diese Theorie ist allerdings, dass das konsumierte Werk ganz bestimmten dramaturgischen Gestaltungsregeln folgen muss, um bei dem Konsumenten Mitleid und Angst zu erregen. Nur ein geringer Teil aktueller Videospiele folgt diesen Regeln.[2]

 

    • Theorie der neo-assoziativen Netzwerke:
      Dieser theoretische Ansatz stammt primär aus der Hirnforschung und beschreibt die Entstehung von Verhaltensschemata, die durch Assoziationen in bestimmen Situationen oder Emotionsphasen hervorgerufen werden. Die betroffene Person lernt durch wiederholte Erfolgserlebnisse in Konfliktsituationen Muster, die zum Erfolg führen. In zukünftigen, sich ähnelnden Situationen oder Gefühlslagen wird das entsprechende Skript im Hirn sofort abgerufen und im Regelfall in die Tat umgesetzt.
      Da in Videospielen Handlungen wiederholt werden, wird im Prinzip eine Art Erfolgsrezept einstudiert. Der Spieler lernt Vorgehensweisen im Spiel die ihm zum Ziel führen und somit auch Freude oder gegebenenfalls Genugtuung empfinden lassen. Im Falle eines Spiels, in dem der Spieler voranschreiten kann, indem er Lebewesen tötet, wird der Rezipient nicht zwangsläufig danach in der Realität bei entsprechenden Hinweisreizen ebenfalls sofort zu den Waffen greifen wollen, aber es wird der Wunsch entstehen, dies zu tun.[3]

 

    • Habitualisierungsthese:
      Diese These geht davon aus, dass durch ständigen Konsum von Gewalt die Sensibilität gegenüber gewalttätigen Handlungen nach und nach abnimmt. Mit anderen Worten: Man gewöhnt ich an Gewalt und nimmt sie als alltäglicher war; eine „Abstumpfung“ findet statt.[4]

 

    • Kultivierungstheorie („Scary World Theory“):
      Durch die dauerhafte Konsumierung von Medien, die in hohem Maße Gewalt darstellen, entsteht im Kopf des Konsumenten nach einer Zeit ein überzeichnetes Bild der Gewalttätigkeit in der Gesellschaft. Durch diese Überschätzung des Umfeldes entsteht das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung. Paranoia und zurückgezogenes Verhalten können ebenso die Folge sein wie eine wesentlich erhöhte Nervosität und Anspannung während des Aufenthalts in der Öffentlichkeit, die zu – mitunter gewalttätigen – Überreaktionen führen kann.[5]

 

    • Sozial-kognitive Lerntheorie:
      Die sozial-kognitive Lerntheorie ähnelt der der neo-assoziativen Netzwerke und bezieht die Umwelt des Konsumenten mit ein. Sie besagt, dass Menschen nicht nur durch aktives Ausführen von Handlungen lernen, sondern auch durch Beobachtung anderer Menschen. Ebenso sind das soziale Umfeld und die persönlichen Lebenserfahrungen von Bedeutung. Es wird von einem triadischen reziproken Determinismus gesprochen: Verhalten, Umwelteinflüsse und personale Faktoren (Kognitionen, Verhalten, etc.) beeinflussen sich gegenseitig bidirektional. Die mannigfaltigen Inhalte dieser drei Elemente ergeben bei jeder Person eine individuelle Summe, die bestimmte Verhaltenskripte abruft. Maßgebend bei dieser Theorie ist weniger, dass durch eigene praktische Erfolgserlebnisse Muster erlernt werden, sondern dass dies vielmehr durch die Beobachtung von Beispielen geschieht.[6]

 

    • Suggestionstheorie:
      Die am häufigsten von Gegnern von Videospielen vorgetragene Theorie ist die sog. Suggestionstheorie, die schlicht beinhaltet: Durch das Beobachten oder interaktive Ausführen von Gewaltdarstellungen in den Medien verspürt der Rezipient ebenso nach einer Zeit den Drang derartige Handlungen in der Realität auszuführen. Nach einfachen Ursache-Wirkung-Prinzip stimulieren also gewalttätige Medien unmittelbar die Gewaltbereitschaft des Konsumenten; ganz besonders die naiver Minderjähriger.[7]

 

    • Allgemeines Erregungsmodell:
      Durch die Darstellung von Sex, Gewalt oder Humor wird der Spieler in einen Erregungszustand versetzt, in dessen Zeitdauer die Hemmschwelle für sexuelle oder gewalttätige Handlungen herabgesetzt wird. In Bezug auf humoristische Inhalte ist er ebenso leichter zum Lachen zu bringen. Werden die drei Faktoren gleichzeitig im Zusammenhang in einem Spiel verwendet, ist dieser Effekt umso größer und die Differenzierbarkeit zwischen diesen Komponenten schwindet.[8]

 

  • General Affective Aggression Model (GAAM):
    Das GAAM ist ein kognitives Modell, welches alle oben genannten Theorien mit Ausnahme der Katharsistheorie miteinander vereint. Die zusammenhängende menschliche Erkenntnis- und Informationsverarbeitung wird mit situativen und persönlichen Variablen ausgestattet und dient ausschließlich zur Erklärung von kurz- und langfristigen Wirkungen von gewalthaltigen Videospielen.Das GAAM ist das bisher erste integrative Modell welches mehrere kognitive Einflussfaktoren berücksichtigt. Psychologische Variablen wie Selbstwertgefühl oder Geschlechterrollenselbstkonzept, sowie emotionale Zustände werden jedoch vernachlässigt. Es ist aber absehbar, dass in zukünftigen integrativen Modellen diese berücksichtigt werden.[9]

 

Nachwort und Diskussionsanstöße:

Die unterschiedlichen Theorien zur Wirkungsweise gewalthaltiger Videospiele zeigt, dass es keine monokausalen Erklärungsansätze gibt. Bereits die Debatten in Bezug auf Filme haben gezeigt, dass ein Großteil von Faktoren dazu beitragen, ob und wie positiv oder negativ die Auswirkungen sein können. Trotz ähnelnder Ziele stellt sich aufgrund der höchst unterschiedlichen Inhalte der Spiele untereinander die Frage nach deren Vergleichbarkeit. Eine Pauschalisierung wie sie die oben genannten Thesen versuchen ist also kaum möglich. Zudem werden Mediennutzungstheorien bisher kaum mit in die Überlegungen und Experimente einbezogen. Ebenfalls auffällig: Viele Theorien sind schlicht aus der vermuteten Wirkungsweise von Film und Fernsehen abgeleitet und sind bereits älter als zehn Jahre.

  1. [1]Siehe: Kniveton, B. H. (1978): „Angst statt Aggression: Eine Wirkung brutaler Filme“ aus: Fernsehen und Bildung, 12, S. 41-47
  2. [2]Siehe: Feshbach. (1955). The drive-reducing function of fantasy behavior. Journal of Abnormal and Social Psychology, 50, 3-11.
  3. [3]Siehe: Berkowitz, L. (1993). Aggression: its causes, consequences, and control. Philadelphia: Temple Univ. Press.
  4. [4]Siehe: Russell G. Geen und Edward Donnerstein (1998): Human Aggression: Theories, Research, and Implications for Social Policy: Theories, Research and Implications for Social Policy
  5. [5]Siehe: Gerbner, G. (1980): „The mainstreaming of America: Violence Profile No. 11“ aus: Journal of Communication , vol 30, No. 3, S. 10-29
  6. [6]Siehe: Bandura, A. (2002). Social cognitive theory of mass communication. In J. Bryant & D. Zillmann (Eds.), Media effects: advances in theory and research (2nd) (pp. 121-151). Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates.
  7. [7]Siehe: Phillips, D. P. (1974): „The Influence of Suggestion on Suicide: Substantive and theoretical Implications of the Werther Effect“ aus: American Sociological Review,39, S. 340-354
  8. [8]Siehe: Tannenbaum, P. H., & Zillmann, D. (1975). Emotional arousal in the faciliation of aggression through communication. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology (pp. 149-192). New York: Academic Press.
  9. [9]Siehe: Anderson, C. A., & Dill, K. E. (2000). Video games and aggressive thoughts, feelings, and behavior in the laboratory and in life. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 772-790.